Nachgefragt
: Lebensgefährliche Armut

■ Karl H. Grabbe, ist Bauunternehmer und türkischer Honorargeneralkonsul

Der Honorarkonsul für die Türkei, Karl Grabbe, ist ein Bauunternehmer, der etwas von preiswerter Bauweise versteht.

taz: Wie erklären Sie sich das Ausmaß der Erdbeben-Schäden? Werden zu Recht Bauunternehmer verantwortlich gemacht?

Sicherlich gibt es in der Türkei skrupellose Geschäftemacher, denen ihr Gewinn wichtiger ist, als die Sicherheit der Menschen – ebenso wie hierzulande auch. Nur haben wir hier eben keine Erdbeben, die solche Praktiken schonungslos offenlegen. Aber das eigentliche Problem ist das enorme Bevölkerungswachstum, das in den vergangenen Jahrzehnten immer zwischen 2,5 und 1,5 Prozent gelegen hat. Istanbul hatte bei meinem ersten Besuch im Jahre 1956 1,5 Millionen Einwohner. Heute sind es 13 Millionen. Diese Menschen brauchen alle erstmal ein Dach über dem Kopf. Und das muss von einem Durchschnittseinkommen von ca. 1.000 US-Dollar finanziert werden. Da sind Billigbautechniken fast unvermeidlich.

Offenbar haben sich Bauunternehmen im großen Stil über die Vorschrift hinweggesetzt, im Erdbebengebiet nur zweigeschossig zu bauen ...

Weil die Menschen dicht bei der Arbeit sein müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sind vielgeschossige Bauten die logische Folge. Ich habe schon gesehen, wie Soldaten illegal aufgesetzte Geschosse wieder abbrachen. Aber sicherlich sagt sich auch so mancher gutmütige Beamte, nun, wo die Menschen einmal dort wohnen, kann ich sie doch nicht wieder auf die Straße setzen. Da muss nicht immer Korruption hinterstecken. Und Baufehler werden nicht immer aus Profitgier, sondern häufig auch aus Unkenntnis begangen. Ich habe in der Türkei zum Beispiel gesehen, wie im Stahlbetonbau notwendige Versteifungen nicht angebracht wurden, weil man von ihrer Notwendigkeit einfach nicht wusste.

Ihre Firma „Interhomes“ wirbt mit besonders niedrigen Baukosten – geht das auch zu Lasten der Sicherheit?

Nein, die häufig übertrieben strengen DIN-Normen setzen uns enge Grenzen in Konstruktion und Baustoffwahl. Wir können nur im Planungsprozess und bei der Grundstücksgröße sparen.

Wird sich Ihr Unternehmen am Wiederaufbau in der Türkei beteiligen?

Nein, wir sind nur in Deutschland aktiv. Mit Bauvorhaben in der Türkei wären wir überfordert. Im Übrigen hat die Türkei selbst eines der größten Bauunternehmen der Welt, das bis zu 30.000 Wohneinheiten an einem Fleck hinstellt.

Können Sie den Bremern eine persönliche Empfehlung geben, wie sie Erdbebenopfern helfen können?

Meine Frau ist gegenwärtig im Erdbebengebiet auf der Suche nach verwaisten Kindern. Der Bremer „Türkisch-Deutsche Frauenverein“ vermittelt Patenschaften zu diesen Kindern in Form von Einmalzahlungen oder dauerhafter Unterstützung. Fragen: jk

Spendenkonto-Nr. des Deutsch-türkischen Frauenvereins: 1818 111 60; BLZ: 290 700 50; Deutsche Bank Bremen.