„Den Interessen der Industrie nachgegeben“

■ Der Sachverständige Gerd Winter zur weiteren Verschiebung des Umweltgesetzbuches

taz: Die Bundesregierung hat sich vergangene Woche entschieden, die Einführung des Umweltgesetzbuches – kurz UGB genannt – zu verschieben. Was sind die Gründe?

Gerd Winter: Minister Trittin sagt, dass der Bund keine ausreichenden Kompetenzen für die den Gewässerschutz betreffenden Teile im UGB besitze. Er möchte die Bundeskompetenz durch eine Änderung des Grundgesetzes erweitern. Ich glaube aber nicht, dass das der einzige Grund ist.

Welche denn sonst?

Die Verbesserung des Umweltschutzes, die der Entwurf enthält, die Zaghaftigkeit der rot-grünen Umweltpolitik und die Ablehnung des UGB-Entwurfs durch weite Teile der Industrie. Heute bestimmt die Wirtschaft die Politik, und die Vermutung liegt nicht fern, dass die Kompetenzbedenken nur ein willkommener Anlass für die Bundesregierung sind, um den Bedenken der Industrie entgegenzukommen und das UGB auf Eis zu legen. Übrigens sieht die Industrie dabei nicht, dass der Entwurf auch für sie selbst bedeutende Chancen enthält.

Sie haben also keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das UGB?

Es wird kritisiert, dass das UGB detaillierter in die wasserrechtlichen Kompetenzen der Länder eingreife, als das Grundgesetz erlaube. In der Tat ist Gewässerschutz nur eine Rahmenkompetenz des Bundes. Doch auch das geltende Wassergesetz des Bundes enthält bereits viele Detailregeln. Der Entwurf des UGB geht nur einen winzigen Schritt darüber hinaus: Danach sollen nämlich alle Genehmigungen für eine Anlage von einer einzigen Behörde ausgesprochen werden – was hieße, dass die Wasserbehörden ihre eigenständige Genehmigungskompetenz verlören. Das widerspricht nicht dem Grundgesetz, weil eine Rahmenkompetenz auch einzelne Detailregelungen zulässt.

Aber auch das für die verfassungsrechtliche Prüfung von Gesetzen zuständige Justizministerium sieht den Entwurf kritisch. Das Ministerium vertritt eine Meinung, die Expertenkommission, die den UGB-Entwurf geschmiedet hat, eine andere. Beide Meinungen sind juristisch gut vertretbar. In einer solchen Situation ist es eine Frage des politischen Willens, sich die der Sache dienende Auffassung zu eigen zu machen.

Nun sagt Trittin, dass das Thema weiter Priorität haben soll. Ist es denn so falsch, es dann gründlich zu machen und den entsprechenden Artikel im Grundgesetz zu ändern?

An sich ist es keine schlechte Idee, die Wasserwirtschaft in die konkurrierende Bundeszuständigkeit zu heben. Aber das braucht Zeit und ist im Ergebnis völlig ungewiss. Das UGB-Projekt wird damit in weite Ferne verschoben. Nun ist das UGB ja schon länger in der Diskussion. Zu lange! An den Entwürfen wird nun schon zehn Jahre gearbeitet. Zwei Expertenkommissionen haben sich abgemüht. Die zweite, zu der ich gehörte, wurde 1997 fertig. Die Kommission war unter fachlichen und politischen Aspekten pluralistisch zusammengesetzt. Sie hat Kompromisse gefunden, die die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft widerspiegeln. Diese werden nun durch den Rückzug der Bundesregierung praktisch aufgegeben. Ich fürchte, nach der nächsten Wahl wird dann ein ganz neuer Ansatz erfolgen müssen.

Wozu brauchen wir eigentlich ein neues Gesetzbuch?

Das geltende Umweltrecht ist in 20 bis 25 Gesetze zersplittert, in sich widersprüchlich, instrumentell unflexibel, an manchen Stellen ökonomisch ineffizient und an anderen zu lasch und lückenhaft.

Was ist dabei herausgekommen?

Die Kontrolle von umweltgefährlichen Anlagen wird einfacher und schneller, weil nur noch ein Verfahren bei einer Behörde nötig sein wird – und nicht wie bisher bei bis zu zehn Ämtern. Weiterhin sollen die Rechte der Öffentlichkeit in Genehmigungsverfahren und in der technischen Normung sowie der Rechtsschutz für Umweltgüter verstärkt werden.

Das UGB soll auch die Selbstverpflichtungen der Industrie regeln. Genau hier wird ein rechtlicher Rahmen geschaffen, damit Selbstverpflichtungen künftig nicht leere Versprechungen bleiben. Außerdem müssen bestimmte Unternehmen künftig einen Umweltdirektor auf Vorstandsebene bestellen.

Gibt es weitere Vorteile?

Besonders zukunftsweisend sind die Vorschriften zu umweltgefährlichen Produkten. Wir denken im Umweltrecht viel zu sehr an das, was aus dem Schornstein kommt. Dieses Problem ist weitgehend gelöst. Nicht gelöst sind aber die Belastungen durch das, was hergestellt wird, also gefährliche Chemikalien, Fahrzeuge mit ihren Abgasen, Produkte, die als Abfall Boden und Grundwasser verseuchen usw. Das UGB will Produzenten und Verbraucher hier stärker in die Verantworung nehmen.

Interview: Matthias Urbach