Indonesiens Milizen nehmen Rache

Nachdem Osttimor für die Unabhängigkeit gestimmt hat, fliehen zehntausende vor dem Terror proindonesischer Banden. Indonesiens Opposition schweigt zur Gewalt, der Militärsprecher dementiert sie sogar  ■   Von Jutta Lietsch

Jakarta (taz) – Proindonesische Milizen haben einen brutalen Rachefeldzug in Osttimor begonnen. In der Haupststadt Dili stehen Häuser in Flammen, automatisches Gewehrfeuer war ununterbrochen zu hören. Zehntausende Bewohner sind auf der Flucht. Unter den Augen von 20.000 indonesischen Soldaten und Polizisten lassen die bewaffneten Banden ihre Wut über das Ergebnis des Referendums aus, das am Samstag bekannt wurde: 78,5 der Osttimoresen stimmten gegen den Verbleib bei Indonesien und damit für die Unabhängigkeit.

Niemand weiß, wie viele Menschen seitdem ermordet wurden. Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen sind untergetaucht. UN-Zivilpolizisten und Wahlhelfer, die per Helikopter aus fünf Distrikten evakuiert wurden, drängen sich mit 1.500 Flüchtlingen und UN-Mitarbeitern im Hauptquartier der UNO-Mission in Osttimor (Unamet), die das Referendum organisiert hat. Ein amerikanischer Polizist wurde am Samstag im Ort Liquica von Milizen angeschossen. Die meisten Journalisten, Wahlbeobachter und Diplomaten verließen Dili inzwischen mit Sonderflügen.

„Es ist ein Alptraum“, sagte in Jakarta die diplomatische Vertreterin Portugals, Ana Gomes. Sie warnte vor einem „neuen Völkermord“ und forderte die internationale Gemeinschaft auf, sofort einzugreifen, um das Drama zu stoppen. Sie kritisierte zugleich scharf die Haltung der UNO, die bislang keine Anstalten macht, internationale Friedenstruppen nach Osttimor zu schicken, obwohl die Rufe nach Blauhelmen immer lauter werden. Gomes: „Die Untätigkeit des Weltsicherheitsrats ist kriminell.“ Sie warf der indonesischen Armee vor, das Chaos in Osttimor „provoziert, geplant und inszeniert“ zu haben, um UN-Mitarbeiter, internationale Beobachter und Journalisten zu vertreiben und „die Osttimoresen zu massakrieren“. Amerikanische und australische Truppen, die gerade ein gemeinsames Manöver in der Region abhalten, könnten schnell nach Osttimor geschickt werden, wenn die UNO ihren Segen gibt.

Verzweifelt appellierte der in Jakarta inhaftierte Chef der Unabhängigkeitskoalition, Xanana Gusmao, am Samstag an die Welt, Osttimor zu helfen: „Wir sehen einen neuen Völkermord voraus.“ Er befürchte, dass seine Heimat „total zerstört“ werde, „in einem verzweifelten und letzten Versuch der indonesischen Generäle und vielleicht auch der Politiker, dem Volk Osttimors die Freiheit zu verweigern.“ Er soll am Mittwoch freigelassen und in die Obhut der UNO nach Dili überstellt werden.

Während die Kritik an der indonesischen Regierung im Ausland wächst und über eine schnelle Eingreiftruppe nachgedacht wird, reagiert Jakarta gekränkt, trotzig und voller Abwehr: „Es gibt keine Berichte, dass die Milizen mit Gewehren durch die Straßen laufen“, behauptete Armeesprecher Sudradjat, nachdem CNN und BBC schon seit Wochen Bilder zeigten, die das Gegenteil belegten.

Präsident B. J. Habibie bat seine Landsleute nach der Verkündung des Ergebnisses, die Entscheidung der Osttimoresen „mit Geduld“ und Anstand zu akzeptieren. Er verstehe, sagte Habibie, wie „bitter“ diese für die Indonesier sein müsse. Gleichzeitig wies er die Streitkräfte in Osttimor an, „energisch gegen alle Seiten vorzugehen, die versuchen, den Stolz der Nation zu beflecken“ und „die Autorität der Regierung, Sicherheit und Ordnung zu unterminieren“.

Habibie ist nicht zu beneiden: Nicht nur das Militär und Teile seiner Regierung machen ihm die Hölle heiß, seitdem er zuließ, dass die Osttimoresen sich von Indonesien trennen. Sie beschwören „ein neues Jugoslawien“ herauf und werfen ihm vor, Schuld an den wachsenden Unabhängigkeitsbestrebungen zum Beispiel in Aceh und Irian Jaya zu sein.

Zu Habibies KritikerInnen gehörte am Wochenende auch Megawati Sukarnoputri, seine Rivalin um die Präsidentschaft. Die von vielen als Symbol eines neuen, demokratischen Indonesien gewählte Politikerin lehnte das Referendum in Osttimor von vornherein ab. Nur nach internationalem Druck versprach sie, es zu akzeptieren. Sie sei „sehr enttäuscht“ über das Ergebnis, sagte sie. Bislang hat Megawati, zu deren Beratern hohe Militärs gehören, die Haltung des Armee in Osttimor mit keinem Wort verurteilt.

Auch der sonst als liberal gepriesene Chef der größten muslimischen Organisation Indonesiens, der „Gemeinschaft der Religionsgelehrten“ (NU) äußerte sich nach dem Referendum voll Bitterkeit. Nur eine kleine Schar aufrechter BürgerrechtlerInnen und Presseleute ist über die Gewalt alarmiert und zugleich bereit, den Willen der Osttimoresen zu respektieren. „Die meisten Leute interessieren sich einfach nicht für Osttimor“, sagt resigniert ein Reporter des kritischen Magazins D & R in Jakarta.

In den Augen der Regierung ist das Votum in Osttimor nicht bindend: Es muss erst von der „Beratenden Volksversammlung“ abgesegnet werden. Das wird voraussichtlich nicht vor November geschehen. Erst danach soll Osttimor unter UN-Verwaltung gestellt werden, die den Übergang zur Unabhängigkeit organisieren soll und wahrscheinlich noch bis fünf Jahre im Lande bleibt. Die Geburt des neuen Staates „Timor Lorosae“ würde, wenn alles nach Plan geht, kurz vor der Jahresende erwartet.

Doch bislang sieht es so aus, als wollten die Milizen und ihre Hintermänner in Jakarta alles dazu tun, dies noch zu verhindern. Armeechef Wiranto, der gestern mit Polizeichef Roesmanhadi und drei Ministern aus Habibies Kabinett auf dem Flughafen von Dili mit Unamet-Chef Ian Martin über die „Verbesserung der Sicherheitslage“ sprach, während die Gewalt draußen eskalierte, kündigte an, weitere Soldaten zu schicken. Eine UN-Friedenstruppe sei derzeit nicht akzeptabel, erklärte er.