Lieber nicht von Italien lernen

■ Rechtsexperten suchen nach europäischer Anti-Mafia-Politik – doch Palermos Erfolgsrezept überzeugt sie nur bedingt

Freiburg (taz) – Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten werden oft gerade die Unterschiede deutlich. Diese Erfahrung machten am Wochenende die Teilnehmer einer von der EU finanzierten Tagung über Organisierte Kriminalität (OK) in Deutschland und Italien. Statt Grundlagen für ein europäisches Anti-Mafia-Recht herauszuarbeiten, stand am Ende die Frage im Raum, ob eine derartige Rechtsangleichung überhaupt sinnvoll wäre.

Vielleicht musste das Projekt scheitern, weil schon die Ziele der Teilnehmer zu disparat waren. Vater des zu Grunde liegenden Forschungsprojekts war Leoluca Orlando, der Anti-Mafia-Bürgermeister von Palermo. Seine Idee: Die Erfolge der italienischen Anti-Mafia-Politik sollten in anderen Staaten wiederholt werden. Mit Hilfe der EU wollte er europaweit aufklären über Kronzeugenregelungen, den Nutzen geheimdienstlicher Polizeiermittlungen und die präventive Beschlagnahme von Organisationsvermögen.

Als Kooperationspartner fand Orlando das Freiburger Max-Planck-Institut (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht. Damit liefen die Dinge aber schon auseinander. Denn das Freiburger Institut neigt nicht dazu, hinter jeder Verbrecherbande gleich eine „mafiaähnliche Organisation“ zu sehen. Die Gefahren, die Orlando in ganz Europa drohen sah, wollten die Freiburger eher differenziert betrachten.

Ganz eigene Interessen hatte auch die dritte Partnerin, die EU-Kommission. Sie förderte das Projekt, weil sie hoffte, dass hier die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Strafsachen neue Impulse bekommen könnte. Der Bereich Organisierte Kriminalität schien sich für europäische Initiativen anzubieten, weil im Drogen- und Menschenhandel oder bei Kfz-Schiebereien schon lange grenzüberschreitend gearbeitet wird. Der Mainzer Strafrechtler Walter Perron nannte als Ziel ein einheitliches europäisches Strafverfahren. Ob allerdings gerade die Organisierte Kriminalität ein geeignetes Feld ist, den Nutzen der europäischen Harmonisierung zu demonstrieren, erwies sich im Verlauf der Tagung als ziemlich zweifelhaft. Deutsche und italienische Juristen sprachen letztlich über ganz unterschiedliche Kriminalitätsphänomene.

Im Detail wurde nochmals herausgearbeitet, dass die italienische Mafia eine Art Parallelgesellschaft ist, die auch den Staat zu durchdringen versucht und teilweise sogar staatliche Schutz- und Ordnungsfunktionen wahrnimmt. In Deutschland wird unter dem Kürzel OK dagegen meist nur ganz normale Bandenkriminalität zusammengefasst. Hier ist eher ein „kriminelles Unternehmertum“ am Werk, dem es nur um Geld geht, aber nicht um Macht – weil dafür auch die Voraussetzungen fehlen. Viele deutsche Juristen äußerten die Furcht, eine Art polizeiliches „Notstandsrecht“ zu bekommen, das in Deutschland überhaupt nicht erforderlich sei.

Ein Jahr hat das Freiburg/Palermo-Projekt noch Zeit, handfeste Ergebnisse zu produzieren. In der letzten Stufe sollen auch spanische Wissenschaftler in die Diskussion einsteigen. Das macht die Debatten aber sicher nicht stringenter. Denn in Spanien versteht man unter Organisierter Kriminalität nicht zuletzt den ETA-Terrorismus. Christian Rath