Eigentümer: Deutsches Reich

■ In Oldenburg arbeitet jetzt eine Projektgruppe die regionale Geschichte der Enteignung jüdischen Besitzes auf – und fordert mehr Unterstützung von Stadt und Institutionen

Die Liste aus dem Jahr 1946, die der Oldenburger Filmemacher Ali Zahedi aus dem Stapel der historischen Dokumente hervorkramt, ist beeindruckend. Fein säuberlich sind da 66 Oldenburger Grundstücke aufgelistet. „Früherer Eigentümer: Hirschberg“, steht da zum Beispiel bei dem Grundstück Staugraben 12. „Jetziger Eigentümer: Deutsches Reich“. Ali Zahedi recherchiert seit 1996, um ein ungeschriebenes Kapitel Oldenburger Stadtgeschichte zu dokumentieren: Die Enteignung privaten Jüdischen Eigentums während der Nazi-Diktatur.

„In der Oldenburger Innenstadt sind rund 120 Häuser betroffen“, sagt Zahedi, der Wert der Häuser lag bei knapp vier Millionen Reichsmark. In den meisten Fällen sind als Eigentümer direkt nach dem Krieg Privatpersonen verzeichnet. Inzwischen wurden Dutzende Aktenordner von ihm und den zehn anderen Mitarbeitern gefüllt, die für das Forschungsprojekt „Enteignung jüdischen Eigentums in Oldenburg und dem Oldenburger Land 1933 bis 1945“ arbeiten. Die Mehrheit der Projektteilnehmer helfen ehrenamtlich und aus wissenschaftlichem Interesse. In Kooperation mit der Forschungsstelle Nationalsozialismus und dem Seminar für Jüdische Studien an der Universität werden Akten gesichtet und ausgewertet. Ähnliche Projekte gibt es in Göttingen, Hamburg, Marburg, Düsseldorf. Zahedi will mit dem Verein Werkstattfilm eine Dokumentation der Arbeit drehen, über 100 Stunden Filmmarerial warten bereits auf Auswertung.

Das Thema schürt auch 50 Jahre nach Kriegsende Emotionen. Drei Drohanrufe habe Zahedi erhalten, nachdem die Oldenburger Presse von dem Forschungsprojekt berichtete. „Wir schicken Dich dahin, wo die Juden gelandet sind“, habe ein Anrufer gesagt. Für Zahedi ist klar: Das Thema ist brisant, weil auch heute noch Menschen von den damaligen Enteignungen profitieren – die Hausbesitzer oder deren Nachfahren, die in Gebäuden wohnen, die unter rechtlich bedenklichen Umständen gekauft wurden. Und Wiedergutmachung für das verlorene Eigentum gab es nicht. Obwohl die Häuser durchweg unter Wert die Besitzer wechselten.

Schlicht illegal waren die Geschäfte nicht. „Viele Juden verschuldeten sich, weil wegen dem Boykott ihrer Läden die Geschäfte zurückgingen“, erinnert Zahedi. „Von den Banken bekamen sie keine Kredite mehr. Die Vertreibung der Juden ging anfangs schleichend“.

Zahedi zieht eine Kopie eines Briefes an die NSDAP von 1935 aus seinem Stapel. Ein Fotograf möchte wissen, ob er Schwierigkeiten zu erwarten hat, wenn er das Fotogeschäft des Juden Gustav Thal in Osternburg kauft. „Durch meinen Kauf wäre ja Thal dann ausgeschaltet; allerdings würde derselbe wohl noch in dem Haus für einige Zeit wohnen bleiben, da mir der Kauf des Wohnhauses im Augenblick nicht möglich wäre. Mein Geschäft wäre jedoch dann rein deutsch u. mit Thal hätte ich ja nach Abschluss der Verkaufsverhandlungen nichts mehr zu tun.“ Gustav Thal emigrierte später nach London, ging von dort nach Osteuropa, wo er starb.

„Es geht gar nicht so sehr um materielle Wiedergutmachung“, erklärt Zahedi, „sondern um die moralische Verpflichtung, sich der Vergangenheit zu stellen“. Genau das aber vermisst er in Oldenburg. Seine Vermutung: Profitiert haben von den Enteignungen auch Familien, die heute zu den gesellschaftlich tragenden Säulen des Gemeinwesens zählen. Da will man nicht dran rütteln. Mehr Unterstützung bei seinen Recherchen wünscht er sich von Stadt, Banken und lokaler Wirtschaft, um das Zusammenspiel der Institutionen beleuchten zu können. Die Stadt versuche „Gespräche über Hilfestellungen für die Aufarbeitung dieses Teils der Stadtgeschichte zu umgehen“, klagte Zahedi noch vor drei Wochen. Banken, die an den Transfair-aktionen beteiligt waren und auch daran verdienten, verweigerten „entschieden“ ihre Mitarbeit. Zahedi will in die Archive und zwar schnell: Die Zukunft des Forschungsprojekts stehe in den Sternen, weil nicht genug Geld vorhanden sei.

Die angegriffenen Institutionen wehren sich gegen solche Vorwürfe. Zahedi bekomme „alle erdenkliche Unterstützung“, sagt die Sprecherin der Stadt, man erwäge inzwischen gar eine Ausstellung zum Thema im Stadtmuseum. Die Oldenburger Landesbank teilt mit, dass sie nach Akten gesucht habe, die Zahedis Forschung helfen könnten – nur leider habe man herzlich wenig in den Bankarchiven gefunden. Grundsätzlich sei man an einer „konstruktiven Begleitung“ der Forschung interessiert. Und auch die ehemals gleichgeschaltete Industrie- und Handelskammer bedauert, keine Unterlagen mehr über die Verstrickung von Wirtschaft, Stadtverwaltung und Institutionen bei der Enteignung der jüdischen Bevölkerung gelagert zu haben.

Zahedis Akribie hat noch andere längst vergessene Papiere zu Tage gefördert. Briefwechsel zwischen Unternehmern und NSDAP, die zeigen, wie die jüdische Konkurrenz ausgeschaltet wurde. Aufstellungen von Vermögen, das von den lokalen Banken eingezogen wurde. Und seitenlange Listen von Menschen, die sogenannte „Judenmöbel“ in ihren Besitz gebracht hatten. Denn Oldenburg und seine Umgebung war ein wichtiger Umschlagplatz für Möbel von Juden aus Holland.

Auf dem Weg ins Exil oder Konzentrationslager zurückgelassenes Mobiliar wurde auf Auktionen zu Schleuderpreisen verscherbelt oder gleich verschenkt. Um die 1,5 Millionen Reichsmark sollen die Verkäufe in der Oldenburger Region erbracht haben. Nach dem Krieg wurden Listen von Nutznießern erstellt, die nicht wussten oder wissen wollten, woher ihr neues Ehebett, ihre Kommode oder der Sessel stammte. „Manchmal bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich mir diese Listen ansehe“, sagt Zahedi. „Alles wurde verteilt: Vom Teppich bis zum Bild.“ Und einige dieser Möbel dürften noch heute an ihren damaligen Plätzen stehen. Zwei Leute in dem Forschungsprojekt beschäftigen sich ausschließlich mit diesen Möbellisten.

Jetzt fordert Zahedi Symbolpolitik. Im Stadtrat will er einen Bürgerantrag einbringen: Der „Winkelgang“ soll umbenannt werden in „Im Abraham“. So hieß die Gasse dreihundert Jahre lang bis 1942. Auf Grund eines Erlasses des nationalsozialistischen Regimes bekam sie einen neuen Namen. Ein weiterer Vorschlag: Mit Diaprojektoren und Lichtinstallationen will Zahedi historische Gebäudefotos an die Fassaden jener Häuser werfen, in denen zwischen 1930 und 1945 Juden lebten. Das alte Bild auf das Bestehende werfen. „So soll versucht werden, Namen und Schicksale der Oldenburger Jüdinnen und Juden aus der Anonymität herauszuholen.“

Christoph Dowe