Der Fall „Ustica“ wird totgeschwiegen

■ USA und Frankreich ignorieren Beweise für eine Verwicklung der Nato

Der damalige Chef der CIA hält das Ermittlungsergebnis für die Ausgeburt „eines politischen Manövers“ gegen die USA

Rom (taz) – Beharrliches Schweigen der verdächtigten Regierungen, arrogante Stellungnahmen ehemaliger Entscheidungsträger, Auf-Zeit-Spielen der Angeklagten: Dies sind die Reaktionen eine Woche nach dem spektakulären Abschluss der Ermittlungen im Fall „Ustica“. Dabei ging es um die Frage, ob die DC-9-Passagiermaschine, die 1980 nahe der Mittelmeerinsel Ustica abstürzte, abgeschossen worden oder mit einer Militärmaschine kollidiert ist. Die vier Generäle und fünf weiteren Offiziere der italienischen Geheimdienste und des Generalstabs, die nun wegen Täuschung von Regierungsorganen und Hochverrats angeklagt sind, spielen sichtbar auf Zeit, um die in wenigen Monaten winkenden Verjährungsfristen zu erreichen. Zwischen der italienischen Regierung auf der einen und der US-amerikanischen und der französischen Administration auf der anderen Seite hat sich unterdessen eine veritable Verstimmung entwickelt.

Grund dafür ist, dass die Anklageschrift zahlreiche Beweise dafür anführt, dass die Maschine der privaten Fluggesellschaft Itavia weder aufgrund von Materialermüdung noch aufgrund einer Bombe an Bord abgestürzt ist – wie das Militär bis heute unterstellt –, sondern in ein Manöver von Nato-Kriegsmaschinen hineingeriet. Und dass dieses, so Untersuchungsrichter Rosario Priore, höchstwahrscheinlich inszeniert wurde, um den libyschen Staatschef Ghaddafi während eines Flugs zu einem Gipfeltreffen in Warschau „versehentlich“ abzuschießen.

Die US-Regierung stellt sich auf den Standpunkt, die Sache sei ausschließlich eine Angelegenheit der italienischen Behörden: kein Wort zu den Vorhalten des Untersuchungsrichters über die Nichtbeantwortung aller Anfragen bezüglich der Aktivitäten der Nato-Streitkräfte in jener Zeit, kein Wort auch zu dem Vorhalt, die italienischen Offiziere seien „durch den massiven Druck der ausländischen Geheimdienste“, allen voran der CIA, „zum Schweigen und zum Legen falscher Spuren“ veranlasst worden. Der seinerzeitige Chef der CIA, Admiral Stanfield Turner, hält das Ermittlungsergebnis in einem Interview mit dem Corriere della Sera für die Ausgeburt „eines politischen Manövers“ gegen die USA.

Nicht weniger arrogant die Stellungnahmen aus Frankreich: Obwohl Priore den Franzosen Dutzende von Flugbewegungen ihrer Kampfjets und Flugzeugträger nahe dem Absturzgebiet nachweisen konnte, beschränkt sich die Regierung nach Angaben des italienischen Außenministeriums auf den Hinweis, „in dieser Sache“ sei „bereits längst alles gesagt, jede geforderte Information gegeben“ worden. Dabei haben sich Frankreichs Behörden niemals zu Erklärungen herbeigelassen, die über ein trockenes „Wir waren's nicht“ hinausgingen.

Auch das Desinteresse der Presse in den beiden Ländern trägt dazu bei, den eigentlich zu erwartenden Skandal niedrig zu hängen. „Sie wollen, wie schon wiederholt in den vergangenen zwei Jahrzehnten, einfach wieder mal versuchen, Gras über die Sache wachsen zu lassen“, meint Daria Bonfietti, Vorsitzende des „Komitees für die Wahrheit über Ustica“.

Italiens Regierung steht derweil unter beträchtlichem Druck. Nicht nur die Vertreter der Hinterbliebenen machen ihr Dampf, auch eine ansehnliche Querbeetkoalition, die von der ganz linken Rifondazione comunista über die Mehrheitsfraktion der Linksdemokraten bis zu den Rechtsaußen der Nationalen Allianz reicht, fordert lautstark lückenlose Aufklärung.

Werner Raith