Keine Angst vor Strafe

■ Die Milizen morden in Osttimor mit der Rückendeckung der indonesischen Armee – und sind teilweise sogar mit ihr identisch

„Ich verspreche, als freier Mann alles dafür zu tun, Osttimor und meinem Volk Frieden zu bringen“, sagte José Alexandre „Xanana“ Gusmão. Doch es war ein sichtlich deprimierter Mann mit tiefen Ringen unter den Augen, der gestern nach sechs Jahren Haft und Hausarrest in der indonesischen Hauptstadt Jakarta die Gefängnistore hinter sich ließ.

Denn der Tag, auf den der 53jährige Chef der osttimoresischen Unabhängigkeitsbewegung und viele seiner Landsleute so sehnlich gewartet hatten, gehörte zu den dunkelsten in der leidvollen Geschichte seiner Heimat. Anstatt, wie erhofft, sofort nach Osttimor zurückkehren zu können, wo der Guerillaführer 1992 gefangengenommen worden war, flüchtete er sich nun in die britische Botschaft, weil er um sein Leben fürchten muss.

Stündlich kommen neue Schreckensmeldungen: Bewaffnete Milizen hatten in der Stadt Suai eine Kirche angezündet, 40 Menschen verbrannten. Unter den Augen von Polizisten und Soldaten beschossen die bewaffneten Gangster das UNO-Gebäude in Dili, setzten die Garage mit 50 Autos in Brand, drangen in die Häuser der Priester und Nonnen ein, die bei sich Flüchtlinge beherbergten. „Sie haben uns gedroht, uns umzubringen und unseren Konvent anzuzünden“, so eine Nonne, deren Telefon in Dili noch funktioniert.

„Sie zwingen die Menschen, die sie aus den Kirchen und Schulen holen, auf Lastwagen und transportieren sie nach Westtimor“, berichtet eine der wenigen Journalistinnen, die noch zurückgeblieben sind und die mit mehr als 1.500 Flüchtlingen im belagerten UNO-Hauptquartier in Dili ausharrt. „Sie plündern, stecken die Häuser in Brand.“ Andere berichten von Leichen, die am Straßenrand verwesen.

Alle Tabus scheinen gebrochen, seitdem auch das Haus von Bischof Belo angezündet wurde. Mindestens 25 Menschen kamen dabei ums Leben. Der Bischof, Friedensnobelpreisträger von 1996, ist inzwischen in die australische Stadt Darwin geflüchtet.

Auch in den Stunden nach Verhängung des Kriegsrechtes ebbt die Gewalt nicht ab, sondern eskaliert weiter.„Die Milizen haben nun automatische Gewehre“, sagen die wenigen Augenzeugen, die ihre Berichte noch nach draußen melden können.

Was Menschenrechtler und Militärexperten schon lange behauptet haben, ist nun offensichtlich: Die Soldaten und Polizisten versuchen keineswegs, die Typen mit den schwarzen T-Shirts, Camouflage-Hosen, langen Haaren und bunten Käppis zu entwaffnen oder an Gewalttaten zu hindern. Im Gegenteil: „Ich habe auf dem Weg zum Flughafen mehrere Armeelastwagen gesehen, auf denen Soldaten mit Milizen zusammen transportiert wurden“, sagt die Journalistin. Eine andere Frau erzählt, wie Milizen das Nachbarhaus plünderten, und „die Soldaten hoben den Reis und die Möbel auf ihre Wagen.“

Die Nähe ist nicht zufällig, und wie eng Militärs und die Banden miteinander verbunden sind, zeigt ein Bild, das ein mutiger Kameramann eingefangen hat: Da sitzt, an einen Baum gelehnt, ein Soldat – mit Gewehr, kurzem Haarschnitt, Militärhosen. Plötzlich holt er eine Perücke mit überschulterlangen, buschigen Haaren aus der Tasche. Er schüttelt sie kurz aus und setzt sie auf den Kopf. Aus dem Soldaten ist im Nu ein Milizionär geworden.

In Osttimor sind es nicht ethnische Zugehörigkeiten, die zu dem blutigen Konflikt geführt haben. Die Mitglieder der Milizen sind bunt gemischt: Arbeitslose, Angehörige von Soldaten oder Regierungsangestellte, und dazwischen verkleidete Mitglieder des Geheimdienstes oder von Elitetruppen. Sie wissen, dass sie keine Angst vor Bestrafung haben müssen – ihre Herren halten die Hand über sie. Ihre Aufgabe ist klar: So viel Terror zu verbreiten wie möglich. Die schmutzige Arbeit der Armee machen, die sich für „machtlos“ erklärt. Wieweit sie im Einzelnen „außer Kontrolle“ geraten, ist schwer zu sagen. Bislang jedenfalls sind sie nützlich. Sie dienen Armeechef Wiranto dazu, immer mehr Soldaten zu schicken, um „die Sicherheit herzustellen“.

Jutta Lietsch, Jakarta