Ein Ossi am Ku'damm

Uwe Liljeberg hatte es sich im Westen erst als einer der größten deutschen Immobilienmakler wohnlich gemacht. Heute berät er Gläubiger bankrotter Kollegen  ■   Von Ulrike Steglich

Nach Ansicht des ostdeutschen Ex-Immobilienmaklers Uwe Liljeberg gibt es nur eine ernst zu nehmende Maßeinheit für Unternehmer: die Deutsche Mark

„Herr Liljeberg arbeitet nicht mehr bei uns“, heißt es am Telefon der Liljeberg Gesellschaft für Immobilienberatung mbH, einem Maklerunternehmen. Nicht einmal die neue Telefonnummer des früheren Chefs ist bekannt.

Uwe Liljeberg ist mit seiner neuen Firma an den Ku'damm gezogen. Räumlich hat er sich dadurch nicht verbessert: Vor drei Jahren saß er mitten in Berlins Mitte, in repräsentativen Büroräumen an der Oranienburger Straße. Die zum Büro umfunktionierte Altbauwohnung am Westberliner Ku'damm wirkt dagegen leer und karg – ein Karriereknick für einen Makler.

Liljeberg ist ein nicht allzu großer Mann, Mitte vierzig, mit jungenhaftem Lachen. Er sieht aus, wie Makler eben aussehen: tadelloser dunkler Anzug, dezente Krawatte, korrekte Frisur. Wenn er glaubt, etwas zu wissen, was der andere nicht weiß, macht er ein Pokerface. Liljeberg ist ein Ossi, aufgewachsen in Geisa in der Rhön, einem Landstrich im Thüringer Wald. Sein Dialekt ist allerdings kaum noch zu hören. Nach der Wende gehörte Liljeberg binnen kurzer Frist zu den fünfzehn größten Immobilienmaklern bundesweit. Und nie machte er einen Hehl aus seiner Herkunft. Ebenso wenig wie aus seinem Karriereknick. Er erzählt freimütig, wie es dazu kam. Es ist die Geschichte des zusammengebrochenen Berliner Immobilienmarktes.

Kurz nach der Wende, sagt Liljeberg, gab es eigentlich gar keinen Markt. Nur Chaos, eine riesige Nachfrage und kaum Angebote – ein Eldorado für Makler. Bei den Immobilien und Grundstücken im Osten waren die Eigentumsverhältnisse oft völlig unklar. Liljeberg, bis zur Wende als Jurist beim Ministerrat der DDR für Investitionsvorbereitung zuständig, wollte sich ursprünglich wie sein Bruder als Anwalt niederlassen.

Doch während der noch bundesrepublikanisches Recht büffelte, machte Uwe Liljeberg Geld. Richtiges Geld. Es begann mit Beraterverträgen: Brandenburgische Gemeinden schmiedeten Ideen, was mit diesem oder jenem Grundstück anzufangen sei. „Bis ich irgendwann mal fragte, wem die Grundstücke überhaupt gehören. Aber die hatten noch nicht mal ins Grundbuch geguckt“, sagt er. Liljeberg war im Geschäft.

Die Wessis in der Branche bekamen neue Konkurrenz. Neid auf die Erfolge des Ostkollegen kam aber nicht auf. Mit Ostberlin und Brandenburg war plötzlich ein völlig neuer Markt zu beackern. Liljebergs Westkollege und Immobilienkönig Willi Bendzko hat nichts gegen den Ostnachwuchs: „Es war ja ausreichend Futter da, jeder hatte genug zu tun.“ Liljeberg meint, spätestens 1992 hätten sich alle Ost-West-Unterschiede in der Branche verwischt. Ossis seien in fast jeder Geschäftsführung zu finden. Bei den Maklern hat sich die Einheit offenbar am schnellsten vollzogen.

Diese Ost-West-Harmonie macht misstrauisch. Stimmen die Klischees nicht? Hat nie jemand versucht, den naiven Ossi über den Tisch zu ziehen? „Schon“, grinst Liljeberg. „Aber die hatten sich damit selber einen Storch gebraten.“ Dann erinnert er sich an einen Direktor aus dem Westen, der beim Essen immer sagte: „Bei uns in Deutschland ...“ Liljeberg, mit dem Selbstbewusstsein des bekennenden und erfolgreichen Ossis, konterte: „Na ja, hier in Sibirien ...“ Das Geschäft kam nicht zustande.

Ansonsten aber lief es glänzend. Fünfzehn Angestellte arbeiteten in Liljebergs Firma. Noch Anfang letzten Jahres freute sich der Makler über „das erstaunliche Niveau“ der Gewerbemieten rund um die Hackeschen Höfe. Aber er freute sich nicht mehr lange. Über die Jahre hatte sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gewaltig verschoben. Die Mietpreise sackten in den Keller, viele hatten sich verspekuliert.

Liljeberg lehnt sich zurück: „Ich habe da ganz böse Geschichten gesehen.“ Zum Beispiel jener Steuerberater, der sich mit seinen Immobilien überhoben hatte. Im Falle eines Konkurses wären ihm über hundert Millionen Mark Schulden angelastet worden. „Der saß mir gegenüber und hatte eine Uhr um, mit so einem teuren Armband aus Straußenleder, man sah die Pünktchen, wo die Federn dringesteckt hatten. Und während er da saß, wurden die Pünktchen immer dunkler. Vom Schweiß. So was hab ich noch nie gesehen.“ Liljeberg ist davon immer noch beeindruckt – keine Schadenfreude, sondern das distanzierte Interesse eines Naturwissenschaftlers.

Mitte 98 war auch sein Geschäft auf dem Tiefpunkt. „Als wir in einem ganzen Jahr weniger als 50 Prozent der bis dahin üblichen Halbjahreseinnahmen erzielten, guckten mein Partner und ich uns ganz tief in die Augen.“ Liljeberg verließ die Firma, auch seine Ehe ging in die Brüche.

Ein Freund holte ihn schließlich aus dem Loch. Liljeberg, das Stehaufmännchen aus dem Osten, entdeckte eine neue Marktlücke und wechselte die Fronten. Ironie der Geschichte oder thüringische Cleverness: Liljeberg verdient jetzt sein Geld ausgerechnet mit den Folgen des Marktcrashs. Liljeberg Consult macht Konkursberatung; berät Banken, an welche die Immobilien bankrotter Eigentümer zurückfallen. Zum Beispiel von Pleitiers, die mit dem Betrieb von Asylbewerberwohnheimen die schnelle Mark machten. – „Ein Tagesgeschäft“, sagt Liljeberg wissend, wo man gewaltig abzocke, aber eben nicht sehr lange. Und dann kommt er mit seiner Konkursberatung zum Zug.

Den wahren Kommunismus habe es doch eigentlich in Westberlin gegeben, spöttelt Uwe Liljeberg mit der Erfahrenheit eines gelernten DDRlers. Oder in Schweden, wo man in manchen Branchen händeringend Personal suche und die Sozialhilfe so hoch sei, dass sich das frühe Aufstehen erst ab einer bestimmten Gehaltsstufe lohne. „Irgendwo müssen ja die 6 Mark bleiben, die Sie dort für eine Büchse Bier zahlen.“ Und von Schweden aus ist es nicht weit nach Dänemark, wo sich Liljeberg in den ersten Jahren nach der Wende viel heimischer gefühlt hat als in Westdeutschland. „Überlegen Sie mal“, sagt er, „wie viele DDR-Bürger nach der Wende im Urlaub nicht nach Mallorca, sondern nach Dänemark gefahren sind. Es war viel DDR-ähnlicher.“ Man denkt an eine dänische Filmfigur, den Kleinkriminellen Egon Olsen, und nickt: Olsen hatte immer einen Plan, der ebenso regelmäßig schief ging. Ganz die DDR. Ein ehemaliger Ministerratsmitarbeiter wie Liljeberg weiß das.

Aber im Geschäft unterscheidet sich der Ostmakler kaum vom Westmakler. Liljeberg zitiert seine Lieblingsdevise: „Es gibt nur eine Maßeinheit für einen Unternehmer: die Deutsche Mark.“ Auch Mietern gegenüber benehmen sich Ostmakler nicht unbedingt sentimentaler oder skrupelloser als ihre Westkollegen. Trotzdem: Ist es nur ein Zufall, dass der „Es gibt nur eine Maßeinheit für einen Unternehmer: die Deutsche Mark“-Wessi Bendzko unbeirrt im Geschäft bleibt und der Ossi Liljeberg umsatteln musste? Oder dass es am Telefon des früheren Liljeberg-Unternehmens noch geheißen hatte: „Hier arbeiten jetzt nur noch Wessis“? Nein, das hat nichts zu sagen: Erstens bedeutete Liljebergs Karriereknick nicht das Ende. Und zweitens kommt Westkollege Bendzko auch aus der Zone: Kurz vor dem Mauerbau machte er von Grünheide/Erkner nach Westberlin rüber.