■ Die Vereinten Nationen ziehen sich aus Osttimor zurück
: Sündenbock UNO

Nach ihrem „Scheitern“ in Bosnien, Somalia und Ruanda hat „die UNO“ jetzt auch in Osttimor „versagt“. Darüber waren sich viele Kommentatoren und Politiker insbesondere in Europa und Nordamerika bereits vor dem gestern verkündeten Abzug der UNO-Misson weitgehend einig. Auch im voraussichtlich letzten großen Konflikt des ersten Jahrzehnts nach dem durch den Berliner Mauerfall symbolisierten Ende der globalen Ost-West-Ordnung muss die Weltorganisation für ihre gewichtigsten Mitgliedsstaaten den Sündenbock spielen. Denn deren Fehler, Unzulänglichkeiten und handfeste „nationale Interessen“ – und nicht „die UNO“ – sind erheblich mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung der indonesischen Diktatur, ihren Völkermord an über 200.000 Timoresen, jahrzehntelange schwere Menschenrechtsverstöße der Militärs. Und damit auch für die aktuellen blutigen Ereignisse.

Die Invasion der indonesischen Truppen auf der Insel erfolgte 1975 mit von den USA gelieferten Waffen – am Tage nachdem US-Präsident Ford und Außenminister Kissinger zum Abschluss ihres Staatsbesuches in Djakarta dem Suharto-Regime grünes Licht gegeben hatten. In den folgenden fast 25 Jahren wurde das antikommunistische Regime von den drei westlichen ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates, USA, Großbritannien, Frankreich, politisch, wirtschaftlich und militärisch unterstützt und innerhalb der UNO vor allzu deutlicher Kritik geschützt. Und ebenso von Deutschland und anderen Mitgliedern der „Wertgemeinschaft“ Nato. In der Genfer UNO-Menschenrechtskommission scheiterten noch bis Mitte der 90er-Jahre Bemühungen Portugals um eine gemeinsame, kritischere Haltung der EU gegenüber Djakarta an deutschen Einwänden. Aus Sicht der beiden nichtwestlichen ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, China und Sowjetunion/Russland, waren die Menschenrechtsverletzungen des Suharto-Regimes „interne Angelegenheiten“ und daher ebenfalls kein Thema für die UNO. Nach fast 25 Jahren völlig kompromissloser Haltung Djakartas beim Thema Osttimor konnte UNO-Generalsekretär Kofi Annan das überraschende Referendumsangebot des Suharto-Nachfolgers Habibie nicht ablehnen. Dazu hat im Übrigen auch kein einziges der 186 Mitgliedsländer Annan geraten. Die am 5. Mai erfolgte Vereinbarung von Datum sowie die logistischen und sicherheitsrelevanten Rahmenbedingungen des Referendums waren Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen Indonesien, Portugal und dem UNO-Sicherheitsrat.

Warnungen vor der inzwischen eingetretenen Gewalteskalation sowie Vorschläge, für alle Eventualitäten bereits eine UNO-Truppe aufzustellen und diese Truppe spätestens zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Referendumsergebnisse in Osttimor zu stationieren, kamen während dieser Verhandlungen lediglich aus der Peacekeeping-Abteilung der New Yorker UNO-Zentrale sowie von Portugal. Bei Indonesien und den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates hatten diese Vorschläge keine Chance. Eine UNO-Truppe gegen den gestern noch einmal erklärten Willen Indonesiens wird es nicht geben. Eine „humanitäre Intervention“ der Nato oder einer anderen wie auch immer zusammengesetzten Allianz von Staaten scheidet mangels ausreichender Eigeninteressen ebenfalls aus. „Damit wird das feine Prinzip der humanitären Intervention in Osttimor wohl als Gelegenheitsargument demaskiert“, kommentierte gestern der niederländische Volkskrant.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf wirtschaftliche Druckmittel. Ob die Drohung mit der Einstellung von Weltbank- und IWF-Krediten die Machthaber in Djakarta jedoch beeindrucken könnte, ist offen. Sie erwarten derzeit wenig von den durch die westlichen Wirtschaftsmächte dominierten Finanzinstitutionen, weil die – nach nicht nur in Indonesien weitverbreiteter Ansicht – das Land in der letztjährigen Asienkrise allein gelassen und falsche Ratschläge gegeben hätten. Zum anderen wissen auch die Machthaber in Djakarta sehr genau, dass IFW und Weltbank ein starkes eigenes Interesse haben an der Kreditfähigkeit und einer zumindest einigermaßen funktionierenden Wirtschaft des viertgrößten Landes der Erde – wegen ansonsten katastrophaler Dominoeffekte für ganz Asien. Andreas Zumach