1.Bremer Massentrauung

■ Das „magische“ Datum 9.9.99 haben viele Bremer und eben so viele Bremerinnen als die ultimative Aufforderung vestanden: Trau dich! Massenandrang an der Hollerallee

Hartmut, 36, Berufsfeuerwerker und Iris, 30, Kommunikationselektronikerin, taten es. Weil „es Glück bringt“ (Iris). Marco, 29, kaufmännischer Angestellter und Anja, 26, Zahnarzthelferin, taten es auch. „Weil das Datum leicht merkbar ist und nicht jedes Jahr vorkommt“ (Anja). Selbst Sven, 30, Gruppenleiter bei der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), und Kirstin, 29, Buchhalterin bei der KKH (Kirstin: „Was spricht dagegen?“), schufen gestern die gesetzlichen und standesrechtlichen Voraussetzungen für einen in absehbarer Zeit zu führenden Scheidungsprozess. Diese drei und rund 60 weitere Paare ließen sich gestern beim Standesamt in der Hollerallee trauen. Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken gegenüber Ehe, Kleinfamilie respektive Kleinfamilienterror, charakterlicher Deformierung unschuldiger Kinder infolge desselben sowie daraus resultierender Perpetuierung systemimmanter Auswüchse und Unterdrückungsstrukturen (vgl. W. Reich et al.), abgesehen von allem also, von dem eigentlich keineswegs abzusehen ist, spricht nichts dafür, hier Worte über eine bremische Massentrauung zu verlieren. Außer: Zahlenmagie.

9.9.99: Die Quersumme ist 36, wovon die Quersumme 9 ist. Oha! Dieser ungewöhnliche Zusammenhang brachte schon tantitheistische Apokryphen-Exegeten des neunten (!) nachchristlichen Jahrhunderts zu Überlegungen, was Gott am neunten Tage wohl tat (der achte wird seit dem Konzil von Avignon als „der undenkbare“ tabuisiert). Seitdem spekulieren Tantitheisten in aller Welt über eine Tochter Gottes und verehren die 9 als magisch, die 99 als bimagisch, die 999 als tripel-magisch und die 9.9.99 als „Schnapszahl“. Wie bei allen magischen Phänomenen spielt Alkohol mehr als eine Nebenrolle, und so wollen wir die Worte eines mit Sekt ausreichend versorgten Hausfreundes von Marco und Anja auf uns wirken lassen: „Der 9.9.99 kommt nicht jedes Jahr vor, was man im Kalender sieht: Das ist immer unterschiedlich, Tag für Tag!“

In dem Zusammenhang aufschlussreich ist der Hinweis des Berufsfeuerwerkers Hartmut (mittlerweile mutmaßlich Gatte von Iris, so nicht, Gott bewahre, noch etwas dazwischengekommen ist), der auf die Frage, ob er notfalls auch am 3.3.33 geheiratet hätte, nicht mit einem ärgerlichen Verweis auf Hitlers Machtergreifung reagierte (30.1.33, Quersumme 10, Quersumme 1, plus 8 – „H“ ist der achte Buchstabe des Alphabeths – ist 9) – sondern mit dem eleganten Return: „Das geht ja nicht mehr!“

Umso mehr hält Hartmut vom Schalten des Schicksals: Januar 99 hatten er und Iris den 9.9.99 als Termin für ihre Trauung beantragt, ohne Hoffnung, ziellos, innerlich leer. Und das Unglaubliche trat ein: Kurz vor Ostern erhielten sie die Frohbotschaft, dass ein Trautermin am 9.9.99 um 12.10 Uhr freigeworden sei. „Das ist kein Zufall,“ erkannten die Brautleute (zwei Kinder). Natürlich nicht: September 99 = 9'99, Quersumme 27, 2x7 macht 14 minus 9 (Januar 99 = 1'99, Quersumme 19, 1x9 macht 9) ergibt 5, plus Quersumme 12.10 Uhr ist wieder 9!

Wo das Walten einer höheren Macht so deutlich über der Holler-allee spürbar ist, da gehört die typisch bremische Unverkrampftheit im Verhältnis zur Macht („der lange Henning“, „Jupp“ Hattig) dazu, folgendermaßen die bei der KKH beschäftigten Brautleute Kirstin und Sven zu initiieren: Kollegen aus Buchhaltung und Beitragseinnahme organisierten einen Handwagen, den der Bräutigam ziehen musste. Auf dem Wagen thronte seine Kirstin, auf ihrem Schoß ein Stück Butter. Das Ganze nannten die Kollegen scherzhaft „Butterfahrt“. Übrigens bauten nämliche Kollegen direkt vor dem Standesamt – zum nicht geringen Entsetzen der anwesenden Fotografen – eine Stellwand mit Plakaten der KKH auf. Thema: „Früherkennung für werdende Mütter“. BuS