Auge um Auge, Ohr um Ohr

■ Keine Jungensspiele: Die Brit-Popper Pulp setzen mit poröser Britishness die Oberfläche neu ein und nutzen Mode zu kommunikativen Spielchen

„Wir haben nie daran geglaubt, daß weniger mehr oder besser ist“, sagt Jarvis Cocker, Sänger der in den letzten beiden Jahren für spektakulär sich abhebende Platten verantwortlich zeichnenden britischen Gruppe Pulp. Seit über 10 Jahren ist Pulp für Cocker ein Beweis: „Es gab in den ersten Jahren so Viele, die uns mit gutem Willen, aber immer ein wenig fragend aus den Augenwinkeln angeschaut haben“, sagt er der taz hamburg gegenüber und meint „Freunde“, die zu Zeiten der ersten Veröffentlichungen eher Verständnis aufbrachten als enthusiastisch reagierten.

1995 spielen Pulp in der Klasse der Großpopbands mit. Allerdings repräsentieren sie originellerweise ein ganz anderes Modell als die sich zur medienträchtigen Konkurrenz gegenseitig nötigenden Oasis und Blur. Denn es geht für Pulp nicht um Jungensspiele. Pulp glauben anders an den Zusammenhang zwischen Pop Wear und dem Rest.

Mode wird zum gut zu lancierenden Bedeutungsträger, mit dem sich wieder neue kommunikative Spielchen bestreiten lassen. Allerdings immer zusammen mit „zu künstlichen gebauschten Mätzchen“ (Cocker), die dann so etwas wie eine einleuchtende, sanft aber bestimmt auf Konfrontation gehende Härte mithörbar machen. Die neue Pulp-Platte belegt das mit sanftem Singer/Songwritertum auf der einen und ironischen Europop-Anleihen auf der anderen Seite.

Seit Different Class stehen Pulp einigermaßen unangefochten für sich. Systematisch gerackert, Geduld geübt, darauf beharrt, recht zu behalten und sich ab und zu in eine, in ihrem Falle, recht poröse, schwer durchschaubare Version von „Britishness“ eingehüllt. Auf Platte festgehalten ist das Talent, für den Rest der 90er so etwas zu werden wie die Stranglers der frühen 80er Jahre. Und zwar ganz ohne 82er Revival, wo Augen und Ohren dann wieder mehr versprechen, als der Magen für den Moment aushält.

Im Untergrund der Songs liegen Gemeinheiten, einiges an Mythen und reichlich eigenwillige Philosophie herum. An der Oberfläche dieser Songs eröffnen Zärteldiscos. Und Nachdenkliche werden nach Mitternacht dazu aufgefordert, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Pulp sind so etwas wie eine Band der Stunde. Auch, wenn man damit rechnen müßte, daß Jarvis Cocker einem auf so ein Kompliment hin rechtschaffen an die Kehle springen würde. Kristof Schreuf Zusammen mit Cast: Di, 12. 12., Markthalle, 21 Uhr