Kein Fortschritt in Chiapas

■ Der Offene Brief der mexikanischen Regierung bietet keine Lösungen. Bislang keine Antwort der Zapatisten

Mexiko-Stadt (taz) – Der „Offene Brief“, den die mexikanische Regierung am vergangenen Dienstag an die bewaffnete zapatistische Bewegung EZLN in Chiapas adressiert hat, ist im Land auf Skepsis gestoßen. Unter dem Titel „Ein weiterer Schritt zur Lösung des Konflikts in Chiapas“ schlug die Regierung vor, den Zapatisten in ihren Forderungen bezüglich der „indigenen Rechte und Kulturen“ entgegenzukommen und eine neue Vermittlerkommission zu gründen. Des Weiteren verspricht die Regierung in ihrem 6-Punkte-Plan, inhaftierte zapatistische Sympathisanten freizulassen. Die massive Militarisierung der Provinz Chiapas wird in dem offenen Brief jedoch mit keinem Wort erwähnt. Weder sieht die Regierung eine Änderung ihrer militärischen Strategien in den chiapanekischen Zapatistengebieten vor, noch geht sie auf die Offensiven der paramilitärischen Truppen gegen zapatistische Sympathisanten ein.

Denn das Militär hat seit dem Aufstand der rebellischen Zapatisten im Januar 1994 seine Truppen in Chiapas mehr als verdreifacht. Zwischen 60 000 und 70 000 Soldaten seien zur Zeit dort stationiert, berichtet die Tageszeitung La Jornada. Linke Oppositionspolitiker kommentierten das Verhandlungsangebot der Regierung deshalb als „demagogisch und opportunistisch“ mit Blick auf den im kommenden Monat beginnenden Wahlkampf um die Präsidentschaft im Jahr 2000.

Die militärischen Truppenbewegungen in Chiapas halten unterdessen an, obwohl der Bau der Straße durch das Zapatistengebiet, der vor gut zwei Wochen Anlass zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und IndianerInnen gab, vorläufig gestoppt worden ist. Der Militärgürtel ziehe sich immer enger um die wichtigsten Hauptstützpunkte der Zapatisten wie die Gemeinden La Realidad und Las Margaritas, warnt die Nichtregierungsorganisation SOS Chiapas. Zapatistische IndianerInnen mobilisierten zur Verteidigung gegen militärische oder paramilitärische Übergriffe und blockierten mit Steinen und Bäumen die Straßen, um Polizei und Militär aufzuhalten, berichten die Beobachter. „Die Bewohner können ihre Dörfer weder verlassen noch in sie zurückkehren, was zu extremen Versorgungsengpässen geführt hat. Es mangelt bereits an Grundnahrungsmitteln“, so ein chiapanekischer Menschenrechtsaktivist. Spekulationen über einen möglicherweise geplanten militärischen Übergriff in Chiapas basieren auch darauf, dass der Bruder des Verteidigungsministers, General Pedro Garcia Cervantes, in der vorletzten Woche am Kampf gegen die Zapatisten teilgenommen hat.

Auch Präsident Ernesto Zedillos alljährliche Regierungserklärung vergangene Woche, in der er weder den Konflikt noch die Militarisierung in Chiapas erwähnte noch auf die bewaffneten Zusammenstöße zwischen Soldaten und Zapatisten einging, ließ die mexikanische Öffentlichkeit hellhörig werden. Beobachter warnen vor einer Zuspitzung des „Kriegs mit niedriger Intensität“. Denn der könne selbst die demokratischen Wahlen im nächsten Jahr gefährden: „Die Militarisierung von Chiapas nimmt im Moment wieder rapide zu, und das lässt den Verdacht aufkommen, dass eine Waffe geschaffen werden soll, mit deren Hilfe man die Wahlen sabotieren könnte, wenn die PRI ihre Macht in Gefahr sieht“, warnt Schriftsteller Juan Bañuelos, Mitglied der aufgelösten Nationalen Vermittlerkommission im Chiapas-Konflikt (Conai).

Laut einer jüngsten Studie zweier mexikanischer Soziologen liegt der Grund für die Militarisierung von Chiapas nicht allein im Konflikt mit den Zapatisten, sondern vor allem auch im Interesse der Regierung und der Staatspartei PRI an möglichen nationalen und internationalen Investitionen im bodenschatzreichen südlichsten Bundesland. Von Gold über Silber, Zink und Kupfer bis hin zu Erdöl und Uran reicht die Palette der in Chiapas vermuteten Bodenschätze. Grund genug für die mexikanische Regierung, die infrastrukturelle Erschließung durch Straßenbau zu forcieren. Diese jedoch, so Zapatistenanführer Subcomandante Marcos in seinem letzten Komuniqué, hätten bislang weder dazu gedient, Schulen und Krankenhäuser zu bauen noch die ärmlichen Wohnverhältnisse und das Elend der chiapanekischen IndianerInnen zu verbessern. Auf den Straßen seien bis heute nur „Militärpanzer, Soldaten, Prostitution, Alkoholismus, Vergewaltigungen von indianischen Frauen und Kindern sowie Tod gekommen“. Solange sich das nicht ändere, werden die Zapatisten Widerstand leisten, warnt Subcomandante Marcos. Britta Scholtys