Osttimor wird planmäßig zerstört

■ Zynisch klagt Jakartas Elite über die „Undankbarkeit“ der Einwohner der Provinz

Jakarta (taz) – Der Zynismus Jakartas angesichts der Tragödie in Osttimor ist kaum zu überbieten: Die Terrorbanden und ihre Freunde im Militär reagierten „emotional“ auf das Ergebnis des Referendums, erklären indonesische Offiziere und Politiker verständnisvoll. Man sei eben sehr „enttäuscht“, weil sich 78,5 Prozent der Bewohner für die Unabhängigkeit entschieden haben.

Nein! Was in diesen Tagen in Osttimor geschieht, hat mit spontaner Wut wenig zu tun – selbst wenn jetzt auch alte Rechnungen beglichen werden. Stattdessen ist offensichtlich: Die kleine Inselhälfte wird systematisch zerstört. Städte und Dörfer brennen. Brücken sind gesprengt, Geschäfte und Banken verwüstet, Lagerhäuser geplündert. Hunderttausende Menschen fliehen.

Todesschwadronen mit vorbereiteten Namenslisten ziehen von Haus zu Haus. Wie viele Osttimoresen bereits ermordet, vergewaltigt oder verstümmelt wurden, lässt sich kaum erahnen. Die hauchdünne Schicht einheimischer Fachleute ist ermordet, untergetaucht oder im Exil. Die indonesischen Techniker, Ärzte, Lehrer, Beamten und Kaufleute, die das Rückgrat der osttimoresischen Wirtschaft und Verwaltung bildeten, werden nicht zurückkehren.

Vor dem Referendum zählte die 1976 von Jakarta gewaltsam annektierte Exkolonie Portugals zu den ärmsten Regionen Indonesiens. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung können nicht lesen und schreiben, nur ein Viertel aller Häuser haben elektrisches Licht. Indonesiens Politiker, Militärs und auch viele javanische Intellektuelle sind tief gekränkt über die „Undankbarkeit“ der Osttimoresen: Schließlich, sagen sie, hat Jakarta jährlich 100 Millionen Dollar in die „27. Provinz“ fließen lassen – mehr als in jede andere indonesische Region. Zwar blieb der Löwenanteil in den Taschen der Militärs und korrupter Beamter kleben, aber es entstanden auch Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Vor dem hohen Preis, den die Osttimoresen für diese „Zuwendung“ bezahlen mussten, verschließen die meisten Indonesier fest die Augen: Ein Viertel der Bevölkerung kam unter dem Regime der Armee um.

Zehn bis fünfzehn Jahre, so rechneten Optimisten, würde Osttimor –mit ausländischer Hilfe – brauchen, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Doch die Rachsucht der Militärs und ihrer Hintermänner ist unersättlich. Den Verlust Osttimors sehen sie als Niederlage nach einem 24-jährigen Krieg, in dem über 20.000 Soldaten starben. Bevor sie ihre Pfründen aufgeben, wollen sie sicherstellen, dass Osttimor keine Kraft für die Unabhängigkeit hat. Angst davor, wegen des Mordens zur Verantwortung gezogen zu werden, mussten die Generäle Indonesiens noch nie haben.

Jutta Lietsch