Erfolgsmodell Motörhead

„Ich muss viel krasser werden“: Der Comic-Zeichner und Entertainer Phil Tägert arbeitet hart daran, ein Geheimtip zu bleiben. Das macht er ganz gut: Seine erste CD verkauft sich eher zögerlich  ■   Von Thomas Winkler

Er hat nur mit einem Taschenrechner bekleidet für das Cover der Zitty posierte. Er hat die letzten echten Berliner Originale Didi & Stulle kreiert, und die Berliner Zeitung hält ihn für einen „Star“. Dabei ist Philip Tägert ein ernsthafter junger Mann: Der Comic-Zeichner und Entertainer, den die Stadt als Phil, Fil oder Fili kennt, macht sich Gedanken.

Ich weiß, viele werden das jetzt nicht glauben. Stimmt aber.

„Ist es nicht traurig“, fragt Tägert, „dass alle sich verkaufen?“ Auf gar keinen Fall, sagt er, will er sich „von den 90er-Jahre-Verlockungen einfangen lassen“. Um keinen Preis will er sich jeden Tag im TV sehen und „das Arschgesicht werden“. Um keinen Preis? Eine Million Mark vielleicht? „Jaaa, eine Million, na gut“, sagt er und grinst breit. Niemand wird ihm diese Million anbieten.

Phil Tägert ist der erfolgreichste Comic-Zeichner der Stadt, „aber kann trotzdem noch nicht davon leben“. Keine Angst, hungern muss er nicht. Es gibt ja noch die Aufträge vom Stadtmagazin und seine gut besuchten Live-Auftritte, auch wenn er „eigentlich in nächster Zeit nicht so viel auftreten will.“ Und wenn er Glück hat, verkauft er von seiner ersten CD „Drum & Bass“ irgendwann mal tatsächlich so viel, dass die Herstellungskosten wieder drin sind.

Bislang sieht es allerdings nicht so aus. „Leider“ hat man 3.000 Stück pressen lassen, von denen bisher aber erst ungefähr 400 weg sind. Weil seine Comics regelmäßig um die 5.000 Einheiten verkaufen, wurde man wohl „ein bisschen übermütig“.

Aber was soll man von einer CD erwarten, von der der künstlerisch Verantwortliche sagt: „Ach ja, ich mag sie gern. Sie ist so, wie sie keiner erwartet hat. Ich auch nicht.“ Von einer CD, die zwar kreischend komisch ist, sich aber nicht nur „halt so ergeben hat“, sondern auch so anhört – was daran liegen mag, dass Tägert eigentlich „keine Platte machen wollte“. Wie soll sich eine CD verkaufen, wenn nur Songs darauf sind, die Phil live nicht mehr spielt, weil ihm das Publikum zu standardisiert ablachte. Phil will geliebt werden. Aber nicht so.

Mit 15 Jahren hat Tägert mal in einer Punkband gespielt. Da ist was hängen geblieben. Und er hat natürlich, wie alle Jungs, einmal mit dem Federballschläger vor dem Spiegel die einschlägigen Posen geübt. Darum will noch heute „so richtig abrocken mit einer Band“. Manchmal kann man das auf „Drum & Bass“ hören. Der Titel ist natürlich nicht ernst gemeint. Für Phil sind AC/DC immer noch die Größten (aber so richtig, mit Bon Scott). Größer sind nur Motörhead, weil „sie keinen richtigen Erfolg haben“. Wahrscheinlich, „weil sie so hässlich sind“.

Diese Gnade wurde Tägert nicht zuteil. Frauen werden ganz nervös bei seinen Auftritten. Um seinen Bekanntheitsgrad trotzdem in kontrollierbaren Grenzen zu halten, denkt er sich einiges aus: Das Ziel ist – „auch wenn es sich blöd anhört“ – ein ewiger Geheimtip zu bleiben. So war „Drum & Bass“ ursprünglich als reine Instrumental-CD geplant, um die eingeschworene Klientel zu erschrecken. Eine Blues-Platte möchte er auch gern mal machen, auch wenn er keine Idee hat, wer die kaufen sollte. „Ich mach, was ich will“, sagt er. Phil träumt standhaft weiter den alten Punk-Traum von der Kontrolle über den eigenen künstlerischen Ausstoß. So wie es läuft, läuft es gut. Mehr als „ein sich mittelmäßig verkaufendes Ding“ braucht es nicht, um davon leben zu können. Allerwichtigstes Element dieser Gratwanderung zwischen Erfolg und Anonymität bleibt weiter: der TV-Boykott.

1991 wurde unverdientermaßen von einem Fernsehsender zum „Chauvi des Jahres“ gekürt. Um sich zu rechtfertigen wurde er zum ersten Preisträger, der sich die Trophäe tatsächlich abholte. Von seiner Verteidigungsrede gingen aber nur entstellende Kurzzitate über den Äther. „Da habe ich gemerkt, was das für ein Scheißmedium ist.“ Seitdem schockiert er das Fernsehen mit Absagen: „Das sind die nicht gewohnt.“

Tägert muss schon nach Kreuzberg gehen, um auf der Straße erkannt zu werden. „Aber nicht von den schönen Frauen“, klagt er, „sondern nur von den Schwätzern.“ Die glauben, ihn vereinnahmen zu können, weil man die gleichen Erinnerungen hat: an Dolomiti-Eis und die Peanuts, an Sid-Vicious-Verehrung und Liedermacher-Gitarrenlehrer.

In seinem letzten Bühnenprogramm allerdings versuchte er das selige Nostalgieritual aufzubrechen. Der Vorwurf, er sei zu nett, hatte ihn getroffen: „Ich muss viel härter und krasser werden.“ Prompt wurde gemeckert, er sei nicht mehr so witzig wie früher.

Es ist schon früher viel geschrieben worden über Phils Humor. Niemand hat allerdings so recht erklären können, warum seine Witze witzig sind. Er selbst kann es auch nicht: „Witze machen ist eine Übersprungshandlung.“ Mehr hat Phil dazu nicht zu sagen.

Dafür hat er Pläne. Er will einen großen Comic-Roman zeichnen. Didi & Stulle macht er nur wegen der Kohle: Sie sollen ihm die Rente verdienen. Und weil er sich geschworen hatte, mit 35 von der Zeichnerei leben zu können, und weil er jetzt bereits 33 ist, hat er 1997 die zehn lange Jahre auf Eis gelegten Schweineprolls wieder aufleben lassen.

Demnächst zieht Philip Tägert, der bisher nur in WGs gewohnt hat, in seine „erste Wohnung“. Der Mann, der das „Ghetto“, das Märkische Viertel, auf die Landkarte brachte, der es jahrelang tapfer in Moabit aushielt, zieht nun ins Herz der Hauptstadt. „Dann bin ich Phil“, sagt Phil, „der Szenestar aus Mitte.“ Das gefällt ihm natürlich nicht.

Fil The Shrill: „Drum & Bass“ (Der Rainer Records). Erhältlich in Comic- und Plattenläden oder über den Vertrieb, Telefon: 216 92 78