: Killersatelliten
Professionelle Deformationen: Peter Sloterdijk, die Kritische Theorie und der Krieg im Feuilleton ■ Von Reinhard Kahl
„Die Begeisterungen haben die Welt bisher nur verschieden umflogen; es kommt darauf an, zur Welt zu kommen“, schrieb Peter Sloterdijk 1993 in seinem Buch „Weltfremdheit“. Begeisterungen, solange nicht gelandet, brauchen Engelskörper. Von ihren einsamen Umlaufbahnen senden die Gottähnlichen ihre Botschaften an die Menschen. Wenn Botschaften nicht ankommen, suchen Engel nach gefallenen Engeln als den Urhebern von Störungen in der großen Satelliten-Kommunikation. Zumal die auf benachbarten Umlaufbahnen fliegenden stören. Wenn sich die Bahnen kreuzen, verwandeln sich die begeisterten Flugkörper zu Killersatelliten, und es offenbart sich wieder mal die Berufskrankheit abendländischer Engel: ihr mal heimlicher, mal offener Monotheismus, ihre Neigung, andere Götterboten zu bösifizieren. Diesem Skript folgt auch der neueste Krieg im Feuilleton.
Es begann bei einer Tagung vom 16. bis 20. Juli auf dem oberbayerischen Schloss Elmau. Das Thema des internationalen Symposiums: „Jenseits des Seins – Exodus from Being, Philosophie nach Heidegger“. Aufsehen erregte Peter Sloterdijk mit seinem Vortrag „Regeln für den Menschenpark – Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus“. Sloterdijk holte weit aus. Er beschrieb den Humanismus als das abendländische Projekt der „Zähmung“ und „Entbestialisierung“ des Menschen durch die Schriftkultur. Große Texte nannte er „freundschaftsstiftende Telekommunikation im Medium der Schrift“. Mit dem Bildungssystem des Nationalstaates wurden „durchalphabetisierte Zwangsfreundschaftsverbände“ konstituiert. Lesepflicht und Wehrpflicht brachten „jenes Zeitalter der bewaffneten und belesenen Humanität, auf welche die neuen und alten Konservativen von heute zurückblicken“. Dann kam der Einbruch der technischen Medien Rundfunk und Fernsehen mit der Wirkung, dass die „Ära des neuzeitlichen Humanismus als Schul- und Bildungsmodell abgelaufen ist, weil die Illusion nicht länger sich halten lässt, politische und ökonomische Großstrukturen könnten nach dem amiablen Modell der literarischen Gesellschaft organisiert werden“.
Schließlich folgt der Satz, der als erster skandalisierte: „Ausgerechnet am grellen Ende der nationalhumanistischen Ära, in den beispiellos verdüsterten Jahren nach 1945, sollte das humanistische Modell noch einmal eine Nachblüte erleben.“ In der Frankfurter Rundschau fragte Martin Meggle: „Waren nicht vielmehr die Jahre vor 1945 ,beispiellos düster‘?“ Sloterdijk wurde anderswo kritisiert, mit heideggerscher Stimme gesprochen zu haben. Er beschrieb den Menschen als schwaches Wesen, ein „Wesen, das in seinem Tiersein und Tierbleiben gescheitert ist ... Er ist das Produkt einer Hypergeburt, die aus dem Säugling einen Weltling macht.“ Darin sah Sloterdijk mit Heidegger das Ende des Humanismus, denn „die humanistischen Freunde verfehlen die begnadete Schwäche“.
Sloterdijk antwortete seinen Kritikern, ihm ging es darum, die Position eines Gegners „so stark wie möglich wiederzugeben, statt ihn moralisierend im Voraus zu verurteilen“. An diese Maxime sollte sich dann niemand mehr halten. Der kleine Sturm im Feuilleton hatte sich gelegt, da ging es erst richtig los. Am 2. September schrieb Thomas Assheuer in der Zeit über „Das Zarathustra-Projekt“, Peter Sloterdijk „fordert eine gentechnische Revision der Menschheit“. Vier Tage später erklärte Reinhard Mohr Sloterdijk zum „Züchter des Übermenschen“. Im Spiegel wurden wieder mal alle Katzen grau. Sloterdijk bildete plötzlich mit Peter Handke, Horst Mahler und Bernd Rabehl eine antidemokratische Renegatenmeute.
Vergangenen Donnerstag schließlich schoss Sloterdijk zurück. In offenen Briefen in der Zeit antwortete er seinem Kritiker Assheuer, alles sei aus der Luft gegriffen, und bezichtigte Jürgen Habermas, der Drahtzieher einer Intrige zu sein. Mehr noch: Sloterdijk erklärte, die Kritische Theorie hätte sich mit den Lügen gegen ihn entlarvt und sei an jenem 2. September, als Assheuer ihn in der Zeit der Menschenzüchterei bezichtigte, „gestorben“.
Inzwischen hat der Suhrkamp Verlag den Vortragstext für die Presse kopiert und ins Internet gestellt. Belege für die großen Vorwürfe gegen Sloterdijk sind nicht zu finden. Er denkt mit Heidegger, Nietzsche und Platon deren Diagnosen. Da fallen im Anschluss an Nietzsche die inkriminierten Sätze über „Ethik und Genetik“: „Die Menschen haben es mit Hilfe einer geschickten Verbindung von Ethik und Genetik fertig gebracht, sich selber klein zu züchten ... und eine Züchtung in Richtung auf haustierliche Umgänglichkeit auf den Weg gebracht.“ Er spricht, immer in Anlehnung an Nietzsche, von Auslese und Selektion. Auch hier versucht er offensichtlich „die Position eines Gegners so stark wie möglich wiederzugeben, statt ihn moralisierend im Voraus zu verurteilen“.
Wenn Sloterdijk in gewissen Spielformen der Medien eine neue „Bestialisierung“ aufziehen sieht, und wenn er angesichts gentechnischer Möglichkeiten fragt, ob die Gattung nun indirekten Einfluss auf ihre Evolution nimmt – und wenn ja, wie und in welche Richtung, dann sind dies Fragen, die auf die Tagesordnung gehören. Gewiss, vieles in dieser Rede ruft nach Debatte. Baut Sloterdijk in seiner Suche nach Strategien zur „Entbestialisierung“ und „Zähmung“ nicht auf eine schwarze Anthropologie in der Tradition der Reformation, die den Menschen als sündig durch und durch sieht? Aber gerade wenn man diesen Fragen nachgeht und sein bisher im zweiten Band erschienenes Opus magnum „Sphären“ hinzuzieht, zeigt sich, dass Sloterdijk die Räume und Bedingungen einer zweiten Geburt anderswo sucht als in Erziehungs- und Züchtungsdiktaturen. Er hat in seinem Vortrag den Gedanken der genannten Philosophen Raum und Resonanz gegeben. Das muss doch möglich sein!
Es macht keinen Sinn, Halbsätze und Gedankenpartikel aus dem Kontext des Vortrags zu nehmen, um an ihnen die ansteckende Krankheit des Faschismus zu diagnostizieren. Einer der inkriminierten Sätze jedenfalls sei vollständig zitiert: „Ob die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird – ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung von Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können – dies sind Fragen, in denen, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt.“
Zunächst allerdings wird der Horizont von Unterstellungen verdunkelt. Diese Kritik aus dem Geist der Denunziation, ja der Suche nach „Stellen“, mit denen sich ressentimentgeladene Weltbilder vervollständigen lassen, ist der Skandal. Nur dumm, dass Sloterdijk gegenüber Habermas nun auch den Sound der Inquisition übernimmt.
Natürlich wird jetzt verdächtigt und gemunkelt, es gehe ja nur um Priesterämter im heiligen Suhrkamp Verlag. Philosophen sind offensichtlich auch nur Menschen, und es fällt ihnen wie anderen schwer, nach ihren Maximen zu handeln. Philosophie, so sagte Sloterdijk in seinem umstrittenen Vortrag, „rekrutiert ihre Anhänger dadurch, dass sie auf infektiöse Weise über Liebe und Freundschaft schreibt“.
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