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Superhelden für ein paar Jahre

■ Good old Horror: Alan Moore rettet die Fantasywelten der Fifties in die Achtziger

Es beginnt wie immer: mit einem verfluchten Ort. Die junge Tänzerin Voodoo heuert in einem Nachtclub an, der auf dem Grundstück einer geschändeten Kirche und eines Indianerfriedhofs in New Orleans errichtet wurde. Der Besitzer des Etablissements versucht, mit Menschenopfern seinen Vater wiederzubeleben, der als katholischer Priester eine Frau schwängerte und das Gotteshaus für Voodooriten missbrauchte. Alles präpariert für eine blutrünstige und eklige Geschichte?!

Der Comic-Szenarist Alan Moore bedient sich in der Exposition der Mini-Serie „Voodoo“ typischer Horror-Erzählmuster. Auch Mike Lopez und Al Rio beliefern mit ihren Zeichnungen vorderhand Klischees: Die Tänzerin hat nie überflüssige Kleidungsgegenstände an, ihr Kreuz ist durchgebogen, vorne dellen sich zwei voluminöse Brüste, hinten streckt sich ein praller Po, und natürlich hat sie lange, allerdings schwarze Haare. Wer jetzt an Tankbemalungen auf Harley Davidsons denkt, liegt nicht ganz falsch. Aber die Serie kam beim amerikanischen Comic-Major „Image“ heraus, es ist also alles garantiert US-schamhaar-, penis- und brustwarzenfrei. Kein Geschlechtsakt wird vollzogen, es findet keine exzessive Gewaltdarstellung statt – Letzteres verleiht den Geschichten von Moore einen geradezu altmodisch-romantischen Hauch.

Der Engländer ist selber so etwas wie ein Voodoo-Zauberer des Comics. Er hat mit „The Saga of the Swamp Thing“ den klassischen Horrorcomic der Fünfziger für die Gegenwart wiederbelebt und in „Watchmen“ seinen Superhelden Alter, Skrupel und Fehlerhaftigkeit gegeben. Daneben entstanden Arbeiten wie der stille Autorencomic „Die leisen Tode des Timothy Hole“ oder auch „Vendetta“, das in einem faschistischen Großbritannien spielt und als Kommentar zur sozialen Ausgrenzung während der Thatcher-Ära verstanden wurde.

Das wirklich Frappierende an Moore ist seine Fähigkeit, zwischen kommerziellen Projekten bei Großverlagen und fast schon introspektiven Geschichten zu wechseln. Dieser Mann ist nicht zuzuordnen.

Allerdings ragt er auch heraus. Denn anders als bei einigen US-amerikanischen Kollegen ist das Neue bei Moore nicht ein Mehr an Gewalt und Sex oder die Überzeugung, dass die Regierung, die Medien und eigentlich alles Offizielle korrupt sei – unter dem liberal-kritischen Schafspelz steckt oft auch nur ein Selbstjustiz-Wolf wie etwa bei Frank Miller (Batman/Robocop).

So kommt es, dass Moore sich über die Folgen seiner Erweiterung des Superheldengenres erschrocken zeigt: „Überall diese psychotischen Vigilanten, die mit tödlicher Erbarmungslosigkeit handeln. Alles ohne jene Ironie, die ich meinen Personen mitzugeben hoffte“, äußerte er in einem Interview.

Ein schönes Beispiel für diese Ironie findet sich im vierten Heft von „Voodoo“. Auf das Lob eines Polizisten für ihre Coolness meint die Tänzerin: „In New York war ich für ein paar Jahre ein Superheld. Ist nichts Besonderes“, und schlägt prompt einen Riesenkerl nieder.

Nicht nur in der souveränen Ironie zeigt sich Moores Geschick für Inszenierungen. Wie im Vorübergehen löst er das Spiel mit den menschlichen Verkörperungen der Voodoogeister auf und findet sehr klare Bilder für ihre göttliche Fähigkeit, in der Zeit vor- und zurückzugehen. Irgendwie kommt einem jede Szene bekannt vor, zugleich aber erscheint sie in einem neuen Licht.

Spätestens hier wird klar, dass Moores Fähigkeit zu erzählen nicht von der Dekonstrution des Genres herrührt, sondern aus einem relativ vorsichtigen Spiel mit den Erzählmustern des Horrors. Da wirkt es wie ein Kommentar auf weniger umsichtige Kollegen, wenn am Ende die Göttin Erzulie das Urteil über den frevlerischen Nachtclubbesitzer spricht: „Du beleidigst das ewige Gleichgewicht mit deiner trivialen Magie.“ Der Meister der Trivialmythen Moore begeht diesen Fehler nicht.

Martin Zeyn

Voodoo“. Szenario: Alan Moore; Zeichnungen: Mike Lopez, Al Rio; Teil 1 – 4 in zwei Heften. Splitter Verlag, München 1999, 7,90 DM

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