■ Nebensachen aus Johannesburg
: Afrikanischer Frühling

Er kommt gleichsam über Nacht. Wie wenn man einen Lichtschalter anknipst, verwandelt sich die winterstaubige graubraune Stadt in ein Meer von Blüten. Die frostigen Nächte, wo man in ungeheizten Häusern bibbert, bleiben aus, und die Tage werden schlagartig wärmer. Schlagartig explodieren auch die hunderttausenden von Platanen, die die Straßen von Johannesburg säumen. Plötzlich blühen sie alle. Wie machen sie das nur, frage ich mich jedes Jahr, ohne einen Tropfen Regen. Frühling in Johannesburg.

Ende August kommen die ersten Vorboten. Die Osterglocken blühen. Nicht länger als zwei, drei Tage. Dann kommen die August-Winde. Der Staub knirscht einem zwischen den Zähnen. Und dann blüht alles zur gleichen Zeit. Wer von Heuschnupfen geplagt ist, sehnt sich nach Regen. Der Himmel aber ist jeden Tag wieder unerbittlich blau.

Frühestens im Oktober hört die monatelange Trockenzeit auf. Der kurze afrikanische Frühling ist dann längst vorbei. Auch der kulturelle. Jedes Jahr im Frühling findet in Johannesburg das vierwöchige Kulturfestival „Arts Alive“ statt, mit Konzerten, Ballett, Lesungen. Eröffnet wird es traditionell durch ein Jazz-Konzert im kleinen Park um den „Zoo Lake“. Tradition hat auch, dass sich die noch immer blütenweiße Bevölkerung in den angrenzenden Wohngegenden darüber wochenlang vorher aufregt.

Umsonst. Das Konzert hat auch dieses Jahr stattgefunden, am vergangenen Sonntag, mit mehreren zehntausend Besuchern. Für einen Tag lang verwandelt sich der beschauliche Park, 200 Meter von unserem Haus entfernt, in die Regenbogennation, von der Südafrika so gern träumt. Ganz Soweto kommt da zum Jive, superhip, supercool. Dazwischen lagern indische Großfamilien, weiße Studenten und die Dienstmädchen aus den umliegenden Häusern. Wo haben „die“ nur das Geld für teure Designerklamotten her, wundert sich meine Nachbarin. „Die“ sind diejenigen, die heute das Land regieren. Mehr Verachtung kann man nicht in ein einsilbiges Wort legen. Sie selbst trägt gern türkisblaue Häkeljacken, mit passendem Lidschatten.

Und die Autos erst. Vom Vormittag an verstopfen BMW-Cabrios und andere Luxuslimousinen die stillen Vorortstraßen. Die Hälfte davon muss geklaut sein. Sündteure Stereoanlagen wummern. Weil spätestens mittags gar nichts mehr geht, fängt man halt auf dem Bürgersteig an zu grillen. Denn ohne „Braai“ hat ein Südafrikaner keinen Spaß am Sonntag.

Am späten Nachmittag hängt eine schwere Rauchwolke über dem Park, gemischt mit Dünsten von Joints und Alkohol. Die Bühne ist eigentlich zu klein und zu weit weg, die Musik kann man kaum hören. Aber sehen und gesehen werden ist schließlich viel wichtiger.

Abends um neun, lange nach Einbruch der afrikanischen Dunkelheit, herrscht wieder die gewohnte Totenstille. Nur der Park sieht anders aus. Das Gras ist unter einem Müllteppich verschwunden. Die Stadtverwaltung hat es aufgegeben, Müll-Container aufzustellen. Lieber schickt sie am nächsten Tag ein mehrere hundert Personen starkes Aufräumkommando, eine erstaunliche Leistung. Zwei Tage später ist der Müllberg weg. Die Bürgervereinigung tobt trotzdem und verlangt eine Verlegung des Konzerts. Wie in jedem Jahr. Frühling in Johannesburg. Kordula Doerfler