EU-Parlament sucht Bauernopfer

Der belgische Kandidat Busquin gerät in die Kritik. Lamy bleibt aus der Schusslinie. Suche nach einem Weg, die Macht der Kammer zu stärken  ■   Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Im Straßburger Europaparlament tobte am Dienstag ein Sturm im Wasserglas: Am Tag vor der heutigen großen Abstimmung über die neue Kommission unter Romano Prodi wurde in den Fraktionen noch einmal heiß diskutiert, ob die neue Mannschaft akzeptiert oder abgelehnt werden soll. Folgen sind jedoch nicht zu erwarten.

Ausgelöst wurde die Aufregung durch einen Bericht der britischen Sunday Times vom 12. September. Darin wird behauptet, der belgische Kandidat Philippe Busquin habe bei der Anhörung vor dem Europaparlament die Ausschussmitglieder belogen. Er habe behauptet, im Rahmen der Parteispendenaffäre der belgischen Sozialisten nie gerichtlich befragt worden zu sein. Am Montag zogen andere europäische Medien nach: Busquin habe nicht, wie von ihm eingeräumt, erst seit 1997, sondern schon seit 1992 von der sogenannten Agusta-Dassault-Affäre gewusst.

Busquin leitet die wallonischen Sozialisten seit fast acht Jahren. In seiner Amtszeit waren Schmiergelder von Rüstungskonzernen in schwarze Parteikassen geflossen. Nach eigener Darstellung erfuhr er erst 1997 von diesen Vorgängen und nahm dann von sich aus Kontakt mit dem obersten belgischen Gerichtshof, dem Kassationsgericht, auf. Den Parlamentariern leitete Busquin in Straßburg folgende schriftliche Erklärung zu: „Der Artikel ignoriert die Tatsache, dass ich während meines Hearings dreimal erklärt habe, dass ich mich auf eigene Initiative an die Justiz wandte, sobald ich von den Vorgängen erfuhr.“

Schon während der Anhörung war er mehr nach Details belgischer Innenpolitik befragt worden als nach den europapolitischen Konzepten des designierten Forschungskommissars. Ein Teil der konservativen Abgeordneten scheint sich den Kandidaten des kleinen und innerlich zerstrittenen Belgien als Bauernopfer ausersehen zu haben. Mit der Drohung, die heutige Abstimmung an Busquin scheitern zu lassen, soll Prodi genötigt werden, dem Parlament in Zukunft mehr Mitsprache bei der Entlassung von Kommissaren einzuräumen.

Gegen Pascal Lamy, der der sozialistischen Partei Frankreichs angehört, sind viel schwerere Vorwürfe bekannt geworden, die sich auf seine Arbeit in der EU-Kommission als Kabinettschef von Jacques Delors beziehen. Den Abgeordneten ist aber klar, dass mit dem mächtigen Frankreich nicht zu handeln ist. Wird Lamy abgelehnt, kippt Prodis gesamtes Personalgefüge. Ein fortdauerndes Machtvakuum in Brüssel will keiner der Abgeordneten riskieren. Deshalb werden weder Prodis Taktik, das Parlament mit unverbindlichen Worthülsen abzuspeisen, noch seine Weigerung, am Zuschnitt der Ressorts etwas zu ändern, am Ende Konsequenzen haben. Es gibt ein unausgesprochenes Stillhalteabkommen zwischen den politischen Flügeln.

Weil die neue Kommission nur als Ganzes akzeptiert oder abgelehnt werden kann, wird wohl am Ende eine Mehrheit der Berufung zustimmen. Mit der Taktik, aus durchsichtigen Motiven einen Kandidaten unter Feuer zu nehmen, während andere unbehelligt bleiben, hat das neu gewählte Parlament jedoch seinen eigenen Anspruch als Kontrollinstanz in Frage gestellt, bevor es die Arbeit noch richtig aufgenommen hat.