„Bouteflika klammert zu viele Probleme aus“

■ Hakim Addad, Leiter einer Jugendorganisation, ist skeptisch über die Art, wie Algeriens Präsident das Land geeint um sich scharen will: „Algerien muss zurückkehren zur Demokratisierung“

Hakim Addad (36) ist Generalsekretär der „Jugendaktionsversammlung“ (Rassemblement Action Jeunesse), die sich während des Bürgerkrieges die Aussöhnung auf die Fahnen schrieb. Beim Referendum über Bouteflikas Versöhnungspolitik ruft sie zur Stimmenthaltung auf.

taz: Sie treten seit 1993 für Aussöhnung ein. Jetzt wo Sie scheinbar am Ziel sind, empfehlen Sie Stimmenthaltung beim Referendum. Wieso?

Hakim Addad: Wir, also all die Gruppen und Parteien, die für die Aussöhnung eintreten, sind tatsächlich in einer Hinsicht erfolgreich gewesen. Seit dem Präsidentschaftswahlkampf im April steht die Frage des Friedens im Zentrum der politischen Diskussion in Algerien. Allerdings glauben wir nicht, dass der von Präsident Abdelaziz Bouteflika eingeschlagene Weg der beste ist. Das Referendum wird sicherlich dazu beitragen, die Sicherheitslage entscheidend zu verbessern. Es wird der Gewalt erst einmal Einhalt gebieten. Das ist die positive Seite. Aber die Freilassung von Gefangenen, Gnade für diejenigen, die sich ergeben, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, all das reicht nicht, um die Krise endgültig zu überwinden. Die Krise ist nicht nur die Frage nach der bewaffneten Gewalt. Die Krise hat ihre Ursachen. Seit 1992 wurden die demokratischen Rechte der Bevölkerung immer wieder mit Füßen getreten. Hinzu kommen wirtschaftliche und soziale Probleme. Die Politik der nationalen Eintracht stellt all das nicht in Rechnung und ist deshalb weit davon entfernt, einen dauerhaften Frieden zu schaffen.

Wie müsste eine dauerhafte Lösung aussehen?

Wir verlangen eine nationale Versöhnungskonferenz. Nur wenn alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte gemeinsam einen Weg suchen, wird Algerien einen dauerhaften Frieden finden. Es geht nicht nur darum, die radikalen Islamisten mit ihren Opfern auszusöhnen. Es gibt die Opfer der staatlichen Repression, die Angehörigen der Verschwundenen. Die gesamte Gesellschaft ist vom Konflikt betroffen. Hinzu kommen die ewigen Widersprüche der algerischen Gesellschaft, wie zum Beispiel die Frage der Sprache der Berberminderheit. Frieden ist ein langwieriger Prozess. Um ihn zu bestehen, muss Algerien zurückkehren auf den Weg der Demokratisierung. Bouteflika klammert zu viele Probleme aus, die schnell zu neuen Flächenbränden an anderer Stelle führen könnten.

Sie stehen mit Ihrer Kritik ziemlich einsam da. Präsident Bouteflika, der nach seinem umstrittenen Wahlsieg alles andere als beliebt war, ist es gelungen, die öffentliche Meinung für sich und sein Projekt zu gewinnen.

Er versteht es, mit dem Volk in Kontakt zu treten. Erstmals seit 20 Jahren haben wir wieder einen Präsidenten, der durchs Land reist und mit den Menschen spricht. Das und die Kampagne der staatlichen und auch einiger privaten Medien, führte zum Meinungsumschwung. Der Präsident versteht es, die Menschen zu begeistern. Und das in einer Situation, in der alle hier nur eines wollen – jemanden, der sie aus der Krise führt. Hinzukommt, dass wer Kritik an seinem Vorgehen übt, im Fernsehen und Rundfunk einfach nicht zu Wort kommt.

Wenn der von Ihnen vorgeschlagene umfangreiche Friedensprozess ausbleibt, was würde das für Algerien bedeuten?

Leider könnte Algerien dann dazu verdammt sein, ein drittes Mal in seiner jungen Geschichte in Gewalt zu versinken.

Interview: Reiner Wandler