Themenläden und andere Clubs: Ein Leben lang Größe 36
■ Die Verkäuferin trägt Calvin Klein und ist jetzt arbeitslos: Kramberg am Ku'damm wird geschlossen. ALLE sind da
ALLE gehen zu Kramberg, und wer nicht hingeht, der war schon dort. Der Grund: Räumungsverkauf. Die heiligen Hallen werden geräumt.
Nach zwanzig Jahren wird Kramberg am Ku'damm geschlossen und angeblich alles neu gemacht. Was genau daraus wird, weiß keiner. Auch die freundliche Verkäuferin nicht, die ganz in Calvin Klein gekleidet ist und ab dem 11. 9. 99 arbeitslos. Dann nämlich ist der Räumungsverkauf zu Ende. Die Verkäuferin sieht es trotzdem positiv: Erneuerung muss sein, sagt sie. Warum Kramberg das erst einfiel, nachdem die Herbst/Winter-Kollektion bestellt war?
Jetzt wird alles verschleudert. Nicht nur die Kleider. ALLES! Das sind: Weihnachtsbäume zu je 200 Mark, Eschenholzverkleidung: „250.-“; Karibikfotowand: „200.-“; Regale, Spiegel, Designerschilder, Fernseher, Stühle, Überwachungskamera, Vitrine, eine Gaggenauküche. Einfach ALLES. Und natürlich auch die Kleider.
Die heiligen Hallen, durch die man früher ehrfürchtig geschlichen ist, stehen an diesem Tag voll mit Gerümpel und sind voll mit Menschen. Eine alte Frau mit verrutschter Perücke hält einen Rock vor sich hin, und dabei murmelt sie ärgerlich: „36 soll das sein? Nie im Leben. Mein Leben lang habe ich Größe 36 getragen, und das hat mir immer gepasst.“ Das meiste, was ich anprobiere, ist ein Enttäuschung. Mit mir steht eine Frau in der Kabine, die keine Kabine ist, sondern eher ein kleines Wohnzimmer mit Spiegel, Sessel und Telefon. Die Frau probiert ein Oberteil an, das auf dem Rücken nur mit einer dünnen Schnur zusammengehalten wird, vorne ist auch nicht viel mehr. „Is nich so doll, oder?“, sagt sie und dreht sich vor mir. „Nee, is wirklich nich so doll“, sage ich und greife mir das hautfarbene Jäckchen von Helmut Lang, das vor mir jemand in der Umkleidekabine liegen gelassen hat.
Früher war das anders, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal bei Kramberg stand. Da schlich ich andächtig durch die Räume, griff gelegentlich nach einem der kostbaren Stoffe und versuchte mich ungezwungen unter den Blicken der Verkäuferinnen zu bewegen. Meist war ich allein in dem Laden, nie habe ich etwas gekauft. Jetzt kleben neongrüne Etiketten auf den immer dezent versteckten Preisschildern, wie an der Käsetheke: „340.-“ steht darauf oder „680.-“ oder „1.040.-“.
Zufrieden, etwas gefunden zu haben, obwohl ich nichts kaufen wollte, stehe ich mit meinem Jäckchen an der Kasse und werde unruhig, weil ich die einzige bin, die nur EIN Teil in der Hand hält. Vor mir steht die Dame, mit der ich die Umkleidekabine geteilt habe, und legt ihre Beute auf den Tisch.
Ich kontrolliere: Eine Hose von Helmut Lang, die perfekt zu meiner Jacke passen würde, ein schwarzer Rock von Gucci, den ich auch anprobiert hatte (sieht unmöglich aus), und ein dunkelblaues ärmelloses Oberteil mit Perlenstickerei von Prada. Das ist mir entgangen. Ich gehe zurück, durchsuche ergebnislos den Hosenständer und finde dann tatsächlich das blaue Hemdchen. Allerdings zu groß, macht nichts, kann ich enger nähen. Muss sein, und ich spare dabei auch noch fast tausend Mark.
Als ich wieder auf der Straße stehe, habe ich etwas gekauft, was ich mir nicht leisten kann, und dabei das Gefühl, etwas gespart zu haben. Nebenan, das heißt um die Ecke, bleibt bei „dk“ - das ist gleich: „Drogerie Kramberg“ - alles beim Alten. Das heißt: alles beim Neuen, denn „dk“ gibt es ja noch nicht so lang.
Dort kann man sich die Hände manikürieren lassen, gibt es Kosmetik vom Allerfeinsten und die Rubberbands von der New Yorker Konzeptkünstlerin Sarah Schwartz in wechselnden Farben mit so schönen Worten darauf wie: DESTINY, FAITH und HOPE . Das Stück kostet eine Mark und ist in Deutschland NUR hier zu kaufen. Wie beruhigend. Elke Naters
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