Bread Man Walking – in a town called Berlin

■ Der Performance-Künstler Tatsumi Oromoto ist ein freundlicher Öko-Superheld

Tatsumi Oromoto wird heute in eine Bäckerei in Mitte gehen. Er wird ein paar Schrippen kaufen, Baguettes, vielleicht auch ein Berlin-typisches Pide. Gegen 15 Uhr wird er die frischen Mehlprodukte mit Stricken wie eine indianische Medizinmann-Maske vor sein Gesicht binden. Die Baguettes bilden einen haarteilartigen Auswuchs, das Gesicht ist meistens ein rundes, dunkles Brot, der ganze Kopf ist eingehüllt von gebackenem Brotteig. Dann wird Orimoto seine „Performance“ als Breadman am Hackeschen Markt und vor der Galerie Schwarzenberg abhalten.

Der mittelgroße, 53-jährige Japaner bewegt sich als Breadman unter Leuten – das ist die eigentliche Idee. Assoziationen zum „Elefantenmenschen“ drängen sich auf, dem Mann, der Ende des 19. Jahrhunderts an einer unheilbaren Nervenkrankheit litt, die sein Gesicht durch Verwachsungen und wucherndes Gewebe entstellte. Orimoto läßt Brotteig wuchern. Und er sucht, im Gegensatz zum bemitleidenswerten Elefantenmenschen, die Nähe der „normalen“ Leute. Er möchte sie sogar zu Reaktionen provozieren, er schüttelt ihnen die Hand, spricht sie an, setzt sich neben sie, machmal bietet er ihnen Stücke seines Brotes an.

Der Breadman aus Kawasaki-City macht seit Jahren Performances, hält sie fotografisch fest und stellt sie zusammen mit seinen anderen Fotoarbeiten aus. Viele der Bilder zeigen ihn mit „Alzheimer-Mama“, der über 80-jährigen, alzheimerkranken Mutter des Künstlers, die ihn lakonisch und würdevoll anguckt, und seine Maske zu ignorieren scheint. Vielleicht findet sie es auch einfach selbstverständlich.

Auf den meisten Breadman-Fotos wächst die Brotmaske wie eine seltsame, hellbraune Skulptur aus dem Gesicht und wirft noch seltsamere Schatten an die Wand: Man meint Tiere zu erkennen, Esel, Wölfe, Giraffen – ein ganzer Zoo aus Brotteig. Orimoto beweist damit, wie aus nur zwei verschiedenen Grundformen (länglich und rund) jede Menge anderer entstehen. Der Brotmann könnte aber auch eine Art freundlicher Öko-Superheld sein. Statt Batman oder Superman, die ihre Kräfte technischem oder außerirdischem Firlefanz verdanken, ist Breadman stark durch Brot, dem Grundnahrungsmittel der Welt. Und statt Umhang und Augenmaske trägt er seine simple Energiequelle sichtbar „im Gesicht geschrieben“. Die Zuschauer sind amüsiert und freuen sich über das freundliche, wandelnde Bäckerschaufenster.

Orimoto ist kein Künstler, der für das Verständnis seiner Kunstaktionen respektvolle Ernsthaftigkeit voraussetzt. Er integriert als „Bread Man Walking in a town“ die Stadt, die Bewohner, Autos und Häuser in eine naive, simple Art von Performance-Kunst, bestehend aus Mehl, Wasser, Salz und einem Menschen. Tatsumi Orimoto, der in den 70ern in der Nähe der Fluxus-Szene und Nam June Paik arbeitete, hat ein bewegliches, dreidimensionales Brot-Stillleben geschaffen, das auf die Zuschauer zugehen kann. Vielleicht dürfen sie auch mal daran knabbern. Jenni Zylka

„Breadman Walking!“ – Performance am Freitag, 17. 9., 16 Uhr, Hackescher Markt und vor der Rosenthaler 39