Ein Herz für Karl Klammer, den Assistenten!

■ Nur der biegsame Draht verschönert den Windows-Alltag. Eine Ehrenrettung

„Wie werde ich das Ding wieder los?“, fragt ein Ignorant in der Internet-Newsgroup. „Ich hab mir Office 2000 installiert, und nun hüpft ständig diese blöde Büroklammer in der Bildschirmecke herum.“

„Vergiss es“, schreibt jemand, „das Problem hatte ich in der alten Version auch schon, aber jetzt ist das schwierig: Wenn du ihn abschaltest, kommt er wieder, sobald du die Hilfetaste drückst. Und wenn man ihn einfach löscht, geht gar nichts mehr.“

An Karl Klammer scheiden sich die Geister. Manche mögen den Hilfeassistenten, die meisten behaupten aber, er sei „albern“ und „überflüssig“. Dabei haben sich die Microsoft-Programmierer zur Abwechslung mal was richtig Nettes einfallen lassen, und nur mit dem charmanten Assistenten sind die vielen Unzulänglichkeiten und Fehler einigermaßen zu ertragen. Obwohl er nicht viel mehr ist als ein dünner Draht mit Augen und einer Strohmatte, gelingt es ihm immer wieder, das Text- und Datenchaos zusammenzuhalten und den tristen Windows-Alltag zu verschönern: Karl Klammer ist klasse. Er ist stets hilfsbereit und zuvorkommend, und er hat mich auch schon vor der einen oder anderen Katastrophe bewahrt. Sobald ich die ersten Zeilen einer Anschrift eingebe, meldet er sich und stellt fest, dass ich offenbar einen Brief schreiben will und fragt nach, ob er schon mal den lästigen Job mit dem Layout übernehmen soll. Das darf er natürlich, denn nur dann ist gewährleistet, dass die Anschrift ganz genau in das Umschlagfenster passt. Und wenn ich mal wieder den Text nach einer ganz bestimmten Stelle durchsuche, rollt er seine Strohmatte zu einem Fernrohr zusammen und sucht fieberhaft mit. Alles beenden ohne zu speichern? Nicht mit Karl Klammer. Dann wird er wild, kommt ganz dicht an die Mattscheibe und hämmert wütend gegen das Glas, dass die Soundkarte kracht.

Hinter den Kulissen ist Karl Klammer eine kontextsensitive Computeranimation, also ein Trickfilm, der auf das reagiert, was gerade passiert. Man kann ihn austauschen, etwa gegen den superflexiblen roten Hüpfer. Aber der macht ganz nervös, und der andere, der Professor, ist genauso langweilig wie Minky, die Katze oder Rocky, der Hund. Nur F1, der androide Roboter aus der 300/M-Serie käme noch in Betracht. Karl Klammer ist besser – und hat den leicht deprimierten Blick. Ich hab deshalb schon überlegt, ob ich meinen Assistenten nach einer der letzten tragischen Figuren dieses Jahrtausends benennen soll, etwa Trittin oder Öcalan. Aber das hat er nicht verdient, der Originalname strahlt immerhin eine gewisse Würde aus.

Zwischendurch treibt er allerlei Schabernack, vor allem dann, wenn irgendwas passiert. Bei der Rechtschreibkontrolle wird er zur Brille, die über die Strohmatte huscht; bei Änderung der Voreinstellungen wird die Matte zum Block, auf dem alles notiert wird. Er hat auch gute Tipps parat und zeigt zum Beispiel, dass einfache Tastenkombinationen viel schneller sind als verschachtelte Untermenüs oder platzraubende Symbolleisten. Und wenn's wirklich mal ein Problem gibt, kann man die Frage im Klartext direkt in die Sprechblase eingeben. Karl Klammer findet eine Lösung.

Wenn es ihm zu langweilig wird, legt er sich auf die Strohmatte und schläft ein. Aber das passiert selten, vor allem nicht abends oder nachts. Vermutlich ist er auch uhrzeitsensitiv und gewöhnt sich an die Aktivzeiten seines Users. Hellwach wird er jedoch, wenn im Text von ihm die Rede ist. Voller Stolz faltet er seine Matte zum Flieger und schwirrt über den Text. Plötzlich verwandelt er sich in ein Mobile, dann wird er zur Drahtspirale und dreht sich im Affenzahn. Und wenn alles gespeichert und gemailt ist und das Textprogramm beendet werden kann, dann verwandelt sich Karl Klammer in ein Klammermoped mit Augenrädern und fährt einfach davon. Wie zum Beispiel – jetzt.

Dieter Grönling