Zwischen den Rillen
: Kakofonie mit Kindertrompete

■ Funkeln im Improvisations-Kosmos: Supersilent und Derek Bailey

Wer an die Musik unserer norwegischen Zeitgenossen denkt, wird als erstes an Jan Gabarek denken. Wem als zweites dann noch die Gruppe Motorpsycho einfällt, kann sich schon als Spezialist für den aktuellen kulturellen Output des skandinavischen Landes fühlen. So wenig der Sphärenjazz des Saxofonisten mit den Feedbackgitarren der Rockband zu tun hat, so viel verbindet beide mit Supersilent.

Ein Mitglied des norwegischen Quartetts ist Helge Sten, der bei Motorpsycho spielte und bei Supersilent für die Bedienung der elektronischen Geräte zuständig ist. Die Verbindung zu Gabarek – sieht man mal von der allumfassenden Jazz-Kategorie ab – ist eher visueller Natur. Denn das noch junge Label Rune Grammofon, auf dem Supersilent erscheinen, zeichnet sich durch ein ebenso profiliertes Artwork aus wie die altehrwürdige Münchner Firma ECM, die die Platten Garbareks veröffentlicht.

Wobei es dem Grafikdesigner Kim Hiorthøy eher darum geht, mit wenigen grafischen Elementen Akzente zu setzen, als mit sensibler Farbgebung und stimmungsvollen Fotos Eindruck zu schinden (man verzeihe diesen kleinen Seitenhieb auf den viel gepriesenen ECM-Look).

Eins vorweg: Die Musik von Supersilent entspricht nicht dem Namen der Kombo. Zum größten Teil haben wir es hier mit hochenergetischer, spannungsgeladener Improvisation zu tun, die natürlich ruhigere Passage einschließt, aber nie ins leise Gekrösel abdriftet. Die Band, in der außer Sten drei gestandene norwegische Jazz-Musiker spielen, beginnt ihr viertes Album (die Vorgänger erschienen zeitgleich im Dreierpack) in der Maske eines gepflegten Jazzensembles, das eine von den Bläsern gespielte Melodie leicht moduliert, aber nie aufbricht.

Dass es so gemütlich nicht weitergeht, macht die wie aus dem Erdboden hervorgrummelnde Perkussion deutlich, die im ersten Stück ahnen lässt, was später noch folgen wird.

Im Mittelpunkt der Platte steht ein knapp achtzehnminütiges, wie die anderen nur mit der Nummer der Reihenfolge betiteltes Stück. Seinen kakofonischen Beginn mit Kindertrompete, hyperaktiven Drums und nervendem Elektronikkrach könnte man putzmunter und quicklebendig nennen, wenn diese Adjektive nicht von Guido Westerwelle vereinnahmt worden wären.

Das muss man gut zehn Minuten aushalten, kurze Erholungspausen inklusive. Das Chaos bricht dann ab, wird zu einem vom Schlagzeug getragenen Ziseln, zu dem sich ein elegisches, von den Bläsern gespieltes Motiv gesellt.

Das fällt einem zunächst gar nicht auf und erst, als es nicht mehr verschwinden will, wird man seiner gewahr. Dann hat sich aber schon wieder ihm gegenüber ein Wirrwarr aus Drums, Gitarre und Synthy-Noise gebildet, das sich furios bis zum Schluss auslebt.

Musik wie die von Supersilent wird so oder so ähnlich wahrscheinlich seit dreißig Jahren gemacht, und einige, die diese Entwicklung intensiver verfolgt haben, werden denken, dass die Norweger nur kalten Kaffee aufwärmen.

Dass ihre Musik trotzdem relevant ist, liegt am Umfeld, in dem sie erscheint und wahrgenommen wird. Rune Grammofon ist eines jener Labels, das sich auf der Schnittstelle zwischen Electronica und Post-Rock bewegt, einem Feld, das für viele an aktueller Musik interessierte Leute die Notwendigkeit geschaffen hat, sich mit Genres und Geschichten auseinander zu setzen, die zuvor Metier eingefleischter Downbeat- und Musik-Konzepte-Leser waren.

Wer heute Goldie sagt, sollte das nicht tun, ohne vorher seine Stockhausen-Kenntnisse wasserdicht gemacht zu haben; und ein Wort über eine beliebige Techno-Maxi äußern sollte nur, wer die Miles-Davis-Alben zwischen 1969 und 1975 rückwärts buchstabieren kann.

Supersilent sind ein Funkeln in diesem Kosmos; Derek Bailey dagegen einer der hellsten Sterne. Und ältesten. Der inzwischen 67-jährige Gitarrist ist der Elder Statesman der improvisierten Musik, über die er auch eines der kanonischen Bücher geschrieben hat. Auf seine alten Tage, wenn man das mal so jovial sagen darf, hat er die Hörer bekommen, die er schon immer verdient hätte.

Im letzten Jahr veröffentlichte er das Album „Guitar, Drum 'n' Bass“, das auf seinem eingehenden Studium der Sendungen Londoner D & B-Piratensender beruhte.

Jetzt haben ihm einige Produzenten aus der internationalen Avantgarde-Szene (ja, ja, sehr schwammige Umschreibung) Rhythmen produziert, auf die er mit akustischer oder elektrischer Gitarre reagiert. Dabei sind Leute aus dem Chicagoer Tortoise-Umfeld, alte Heroen wie John Oswald und auch das deutsche Tied + Tickled Trio.

Wer hier die abgestandene Fusionsgeste wittert, die wohlwollend Generationen und Gattungsgrenzen überbrückt, wird von der Musik eines Besseren belehrt. Hier wird quicklebendige Opposition praktiziert gegenüber den Kerkern, die Puristen als Paradiese empfinden. (Falls es die noch irgendwo gibt.) Martin Pesch

Supersilent: „4“ (Rune Grammofon). Vertrieb: www.runegrammofon.com . Derek Bailey: „Plays Back“ (Bingo)