Die Huckleberry Finns der Ökoszene

Umweltschutz à la Robin Wood: Eine Gruppe von Naturfreunden baut ein Floß, lässt sich Neckar und Rhein hinuntertreiben und versucht dabei, den Wald zu retten  ■   Aus Heidelberg Marianne Mösle (Text) und Martin Storz (Foto)

„Die Wasserschutzämter hätten uns nie auf den Rhein gelassen – falls am AKW Biblis etwas passiert ...“

Einer musste schließlich diese Fahrt machen. Wer sonst soll die Bevölkerung über Raubbau, die tödlichen Monokulturen, das ökologische Gleichgewicht und die Vorzüge der Ökologisierung von deutschen Wäldern informieren?

„Wir wollten möglichst viele Leute erreichen und durch schöne Natur fahren“, sagt Alex Gerschner. Deshalb das Floß, die „Robina Wald“, deshalb Neckar und Rhein. Unzählige kleine Dörfer und Städte direkt am Ufer und etliche Rudervereine, bei denen sich nachts ein Lager und ein Gespräch findet.

Leinen los, es riecht nach frischem Holz. Käpt'n Gerschner wirft den Heckmotor an, im Fahrtwind bläht sich ein Transparent aus feinem Nesselstoff, verkündet, dass die Robin Woods, die Umweltschützer des Waldes, auf Fahrt sind. Seit gut zwei Wochen. Richtig wohnlich haben es sich die zehn Umweltaktivisten auf den Holzstämmen eingerichtet. Mit provisorischen Bänken entlang der Reling, auf denen sich Schlafsäcke und Isomatten knäueln. In der Mitte eine Bierbank als Ablage für die notwendigsten Reise-Utensilien: Kaffeetassen, Faltblätter zur Aktionsgemeinschaft, Nutella-Gläser, Fotos, ein angeschnittener Laib Brot, Gaskocher und Tabakpäckchen einen sich zum Stillleben. Auf der Wäscheleine flattern ausgebleichte T-Shirts mit dem Robin-Wood-Logo.

„Die Rächer der Entlaubten“ nennen sich Alex, Philipp, Andreas, Mirjam und die anderen, zwinkern in die Sonne, verdrücken Trauben, trinken Kaffee dazu. „Ahoi, ihr Piraten“, rufen die Heidelberger von der Alten Brücke den Umweltschützern hinunter. „Wo habt ihr eure Piratenflagge gelassen?“

Die meisten Menschen an den Ufern des Neckars seien ihnen bisher wohlgesonnen gewesen, sagen die Flößer. Trotz Verwunderung, dass die vermeintlichen Spaßvögel irgendwann anfingen, von Nachhaltigkeit und Kahlschlag zu sprechen, von Zertifikaten und Schutzgebieten zu schwärmen. Mit Müsli und Obst werden sie versorgt, mit Verständnis, Zustimmung und Spenden für ihre Fahrt belohnt. „Auf einem Floß hat man einfach einen Sympathie-Bonus“, sagt Philipp Horstmann, ein zweiter Käpt'n auf den Stämmen. Seit „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gelten Floßfahrer als Abenteurer: keck und verschmitzt vielleicht, harmlos und liebenswert auf jeden Fall. Mark Twain, der Autor, soll übrigens nicht nur den Mississippi, sondern auch den Neckar auf einem Holzfloß hinuntergeschippert sein.

Robin Wood – die Huckleberry Finns der Umweltszene? Spaß vor Mission? Robin Wood, die Freizeitfraktion fürs Spezielle und Greenpeace, die Berufsaktivisten fürs große Ganze? „Wenn es sein muss, können wir auch auf Schornsteine steigen und ganz schön bissig werden“, sagt ein dritter Käpt'n, Andreas Kleinhans. Schließlich sei auch die Gebrauchsanweisung von Robin Wood: Aufrütteln durch medienwirksame Aktionen und Überzeugen durch Hartnäckigkeit.

Einer musste sich schließlich darum kümmern. Es war Anfang der Achtzigerjahre, der Wald starb und Greenpeace trauerte weiterhin um die Wale. Also spaltete sich Robin Wood von Greenpeace ab, rächte fortan die Entlaubten. Und wo man schon mal dabei war, gab man sich gleich eine basisdemokratische Struktur – die in strenge Hierarchie eingepferchten Greenpeaceler werden neidisch gewesen sein. Bei Robin Wood entscheidet die Ortsgruppe, welche Plakate geklebt, welche Blumenwiese besucht, welcher Fluss befahren wird.

Sich vor den nächsten Frachter werfen? Im Einsatz für die sterbenden Wälder? Lässig lümmelt Philosophie- und Germanistikstudent Philipp backbords, schüttelt seinen blonden Haarwuschel zurecht. Übers verlängerte Wochenende ist die Freundin aus Berlin angereist, sie rätseln, Arm in Arm, wo der Gutachter bleibt. Der soll ihnen die Zufahrt vom Neckar in den Rhein genehmigen.

Seit Tagen lässt er auf sich warten. Ob „die“ Robin Wood nicht auf dem Rhein haben wollen? Da kann selbst aus dem friedlichsten Flößer ein wilder Rächer des Waldes werden. „Da kennen die uns aber schlecht, wir können uns auch vor Schleusen legen oder ...“, sagt Alex.

Bis vor zwei Wochen hatte noch keiner eine Ahnung vom Floßbau, traditionelle Flößer-Vereine sollten helfen. Die mauerten. Also setzte sich Philipp an den Schreibtisch, zeichnete drauflos und bekam mit diesem Bauplan die Genehmigung von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion in Mainz.

Zehn Stämme, 12 Kubikmeter Fichtenholz aus einem zertifizierten „Naturland“-Wald hatte Philipp telefonisch an das Ufer eines Sees in Stuttgart geordert. Bäume, die vom Borkenkäfer befallen waren und sowieso gefällt werden mussten. Das Holz wurde geliefert, hin und her gerollt, gewässert, und schließlich auf eine Reihe von Regentonnen montiert, von einem speziellen Gerüst gehalten. Doch da hatten die Kapitäne in spe ihre Rechnung ohne die Schifffahrtsuntersuchungskommission gemacht. Als die Wasserschutzpolizei das Floß abnehmen wollte und Schwimmwesten, Bootshaken, Rettungsringe, Motor-Beiboot und 30 Meter Leinen besichtigte, klingelte das Handy.

Am anderen Ende ein Beamter, der erklärte, dass die Regentonnen, aus recycelbaren Plastik, nicht in der Bauzeichnung vorkamen und deshalb nicht verwendet werden dürften. Dass die das Wassergefährt stabiler machten, davon wollte er nichts wissen, davon stand nichts im Antrag. Da wollten die einen aufgeben und die anderen sich vor die Schleusen werfen. Doch nach etlichen Flüchen über die deutsche Bürokratie und gezielten Drohungen mit presse- und öffentlichkeitswirksamen Aktionen durften die Tonnen Tonnen sein.

Dann hieß es, ein Gutachter müsse her. Einer, der die Fahrtüchtigkeit und Sicherheit prüfe. Von der Behörde kamen drei Herren, um zu sagen: „Sie haben sich viel Mühe gegeben, aber sie war umsonst.“ Weil so ein Floß aber ein faszinierendes Wassergefährt ist, blieben die Beamten noch ein Weilchen. Und meinten, es wäre doch schön, wenn die Stämme mit Hanfseilen geschnürt würden, das habe der Fernsehabenteurer Thor Heyerdahl 1947 mit seiner „Kon-Tiki“ auch so gemacht. Und der kam schließlich bis nach Ostpolynesien. Und hier diese schnöden Stahlseile! Dass die im Bauantrag standen und auch genehmigt waren, interessierte nicht. Nicht jetzt. Noch etwas Fachsimpelei, und die „Robina Wald“ durfte auslaufen. Da staunten auch die Wassersportler, die den Floßbau in ihrem Revier beäugt hatten.

Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von vier Stundenkilometern tuckerten die Waldschützer nun an Marbach vorbei, verteilten Infoblätter, zeigten einen Videofilm in Bad Wimpfen, luden in Heilbronn ein paar Leute per Megafon aufs Floß ein, vor dem Atomkraftwerk Obrigheim ließen sie ein Transparent mit AKW-Symbolen in die Luft gehen. Und die Polizei? – „Och, ich glaub, die sind immer froh, wenn wir wieder weg sind“, sagt Käpt'n Alex. Einmal sei der Treibstoff ausgegangen und ein anderes Mal habe eine Brücke den Mast gekappt, erzählt er. Ansonsten verlief die Reise auf dem zehn Meter langen, vier Meter breiten und fünf Tonnen schweren Floß bislang ohne größere Probleme.

Rechts vom Ufer haben sich Registrierkassenhäuser in den Hang gekrallt, links schwimmt Heidelbergs historische Stadthalle vorbei. Mit dem Paddel wird eine Boje beiseite geschoben, und von einem Touristenschiff grüßt das Nebelhorn. Eine junge Studentin ist mit an Bord gekommen, war eigentlich auf dem Weg in die Bibliothek, als sie plötzlich sah: „Floßbesichtigung heute“. Sie las Schloßbesichtigung, das hat sie interessiert.

Mirjam, die seit vier Jahren bei Robin Wood und demnächst Biologiestudentin ist, Philipp und Alex kümmern sich nun um sie. Erzählen ihr von vernünftigem Waldbau. „Zwischen 70 und 80 Prozent des deutschen Waldes ist Nadelwald“, verkündet Alex, der Geograph, der im bayerischen Nationalpark oder auf Berlins Baustellen jobbt. Und Nadelwald bedeutet Monokultur, in der der Boden versauert und verdichtet, wo tausende von Käferarten einfach verschwinden und kein Vogel mehr zu hören ist, holt Alex weiter aus. Ja, einmal sei er nachts durch ein kleines Gebiet im Schwarzwald gelaufen, wirft Philipp ein. „Es war tot, totenstill.“ Kein Fuchs, der dem Hasen Gute Nacht sagt, keine raschelnden Blätter, kein Glühwürmchentanz.

Ganz anders dagegen der Kellerwald in Hessen! Das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Deutschland, natürlich gewachsen, mit Büschen und Gräsern, mit 35 Prozent Altholz und genügend Totholz als Lebensraum für Käfer, Fliegen und Schmetterlinge. Und das ist jetzt in Gefahr! Die Landesregierung plant einen Waldschlag – „dann ist er kaputt“ –, um die Kassen zu füllen. Nur ein Erlass konnte einstweilen erzwingen, dass noch kein Baum gefällt wurde. „Wir wollen einen Nationalpark“, sagt Alex. Nur der schütze den Wald, und ein naturnaher Wald locke Touristen an.

„Wenn es sein muss, können wir auch auf Schornsteine steigen und ganz schön bissig werden...“

Und dann, geraten die Waldfreunde ins Schwärmen, müssten kleinere und größere Urwaldzellen in jedem Wald entwickelt werden. Kleine Waldgebiete, wo natürliche Baumarten unterschiedlichen Alters hochwachsen, wo mit leichten Maschinen und Pferden gearbeitet wird, wo man auf natürliche Erneuerung setzt, wo sich alle Arten von Tieren heimisch fühlen, dafür aber der hohe Wildbestand reduziert wird. Keimzellen für einen ökologischen Waldbau ohne übersäuerten Boden und Borkenkäfer-Invasionen.

Das alles wird auch Heidelbergs Umweltbürgermeister Thomas Schaller erklärt, als er auf einen Sprung auf dem Floß vorbeischaut. Er setze alles daran, den Stadtwald auf FSC-(„Forest Stewardship Council“)-Niveau zu bringen, verspricht er. Ein internationales Zertifikat, das einen ökologischen Waldbau voraussetzt. Die Robin-Woodler verbuchen's als Erfolg, auch wenn ihnen das strengere „Naturland“-Zertifikat lieber wäre. Kurzerhand legen sie eine Klettertour im Stadtwald ein, geben die gute Nachricht per Handy aus 15 Meter Höhe an daheimgebliebene Waldfreunde weiter.

Das Tempo wird gedrosselt, das Floß steuert die Neckarwiesen in Heidelberg an. Einen großen Bogen um ein Tretboot, da schreit einer: „Da hat uns gerade jemand auf dem Floß fotografiert.“ Na also, man wird ja doch wahrgenommen.

Nach Baden-Baden, achtzig Kilometer landeinwärts, werden zwei Robin-Wood-Leute vom Floß zur öffentlichen Fraktionssitzung der Grünen eingeladen. Der kommunale Wald soll als „Naturland“ zertifiziert werden. Und: Seit Freitagabend ist das Floß auf dem Rhein. Nach einer knappen Woche Anrufen, Warten, Anrufen. Sämtliche Schifffahrts- und andere Ämter hatten stets versichert, einen Gutachter vorbeizuschicken, um die „Robina Wald“ für den großen Fluss tauglich zu erklären. Letztlich tat es ein Privatgutachter. Rhein – genehmigt. Fahrerlaubnis bis zum 15. Oktober. „Die Wasserschutzämter hätten uns nie auf den Rhein gelassen“, sagt Käpt'n Alex. Mit einem Privatgutachter liege nun die Verantwortung für die Aktion nicht mehr bei den Behörden – „falls am AKW Biblis etwas passiert ...“

Nur so zum Beispiel.