■ Die Demokratisierung Indonesiens scheitert an Osttimor
: Ein spitzer Stein im Schuh Jakartas

Osttimor ist für Indonesien wie ein „spitzer Stein im Schuh“, hat Außenminister Ali Alatas einmal gesagt. Die Invasion der ehemals portugiesischen Kolonie belastet seit Jahren das Ansehen Indonesiens. Wenngleich die Portugiesen in Osttimor ein Chaos hinterließen, ein US-Präsident der Invasion im Voraus zustimmte, Australien die Annexion offiziell anerkannte und deutschen Regierungen das Selbstbestimmungsrecht der Osttimoresen allenfalls Lippenbekenntnisse wert war: Die UN-Vollversammlung hat die Annexion nie anerkannt und stärkte so die Erinnerung an Indonesiens Unrecht.

Um den Schmerz im Schuh endlich loszuwerden, gab B. J. Habibie als neuer Präsident die starre Haltung seines Vorgängers Suharto auf und ließ eine von der UNO durchgeführte „Konsultation“ der Bevölkerung zu. Er hatte die Illusion, dass nach über 23 Jahren indonesischer „Integration“ Osttimors das Streben nach Unabhängigkeit nicht überwiegen würde. Falls doch, würde die Einschüchterung der vom Militär aufgebauten Milizen schon für das „richtige“ Ergebnis sorgen. Indonesiens Generäle dagegen lehnten eine Befragung der Osttimoresen ab. Sie haben mehr zu verlieren und dürften sich auch der in Osttimor begangenen Verbrechen bewusster sein. Die Streitkräfte begreifen sich als Garanten der Einheit des Staates der 13.000 Inseln und bekämpfen mit allen Mitteln, was ein Präzedenzfall für andere nach Unabhängigkeit strebende Regionen sein könnte. Das Militär betont seine antikoloniale Tradition und verweist darauf, dass die Teilung Timors ein Ergebnis des europäischen Kolonialismus ist.

Aber die indonesischen Nationalisten inner- und außerhalb des Militärs übersehen, dass ihre Truppen nicht als Befreier nach Osttimor kamen. Auch haben sich die Zeiten geändert: Die Zeit der Kolonialmächte ist so vorbei wie der Kalte Krieg. Es war der Eindruck der Niederlagen in Vietnam und Kambodscha, der dazu geführt hatte, dass westlichen Staaten die Invasion gegen das linksgerichtete Osttimor genauso opportun erschien wie das jahrelange Hofieren Suhartos. Inzwischen legt der Westen wieder mehr Wert auf die Einhaltung demokratischer Formen.

Die wohl einem Völkermord entsprechende Gewalt von Milizen und Militärs in Osttimor zeigt, dass die Macht des Militärs seit Suhartos Sturz nicht entscheidend eingedämmt wurde. Im Gegenteil: Das Militär setzte sich wiederholt über Zusagen der Regierung hinweg und führte so deren Machtlosigkeit vor. Der Terror in Osttimor zeigt, dass in Indonesien trotz der erfolgreich durchgeführten Parlamentswahlen nicht Politiker das Sagen haben, sondern Generäle. Zwar haben diese in Osttimor ihr Gesicht verloren, doch sie könnten jetzt durch das Schüren einer nationalistischen Stimmung gegen die UNO-Intervention versucht sein, ihre Macht weiter zu stärken.

Die Ironie der indonesischen Demokratisierung ist ohnehin, dass wegen der unklaren Mehrheitsverhältnisse die ungewählten Vertreter des Militärs im Parlament wie in der „Beratenden Volksversammlung“ das Zünglein an der Waage sind, wenn diese im November einen Präsidenten oder eine Präsidentin wählt. Weil niemand ohne die Stimmen der Generäle Chancen hat, schweigen die führenden „demokratischen“ Politiker Megawati Sukarnoputri, Abdurrahman Wahid und Amien Rais nicht nur zu Terror und Mord in Osttimor, sondern überbieten sich zum Teil in haarsträubenden nationalistischen Erklärungen. So könnten sie bald zum demokratischen Feigenblatt des Militärs werden, wenn Habibie ausscheidet.

Osttimor verdeutlicht nicht nur Indonesiens Krise, es hat sie unfreiwillig noch weiter verschärft. Dabei haben sich die Osttimoresen mutiger verhalten als Indonesiens „demokratische“ Politiker. Diese haben angesichts ihres opportunistischen Verhaltens stark an Glaubwürdigkeit verloren und der Demokratisierung ihres Landes einen Bärendienst erwiesen.

Der Umgang des Militärs und der Politiker mit Osttimor weckt böse Befürchtungen für Indonesiens eigene Zukunft. Mord und Terror in Osttimor könnten zwar die Unabhängigkeitsbestrebungen anderer Regionen wie vom Militär beabsichtigt dämpfen. Es könnte sie aber auch stärken und kompromissloser machen. Denn Regierung und Militär haben in Osttimor jegliches Vertrauen verspielt. Der spitze Stein ist noch längst nicht aus dem Schuh. Sven Hansen