Raffinierte Rohheit

Märchen, Mistresses und Matriarchate: Mit „Libra Rising“ gibt die Hamburger Comic-Zeichnerin Minou Zaribaf ihren Einstand auf dem US-Markt  ■ Von Jutta Drewes und Katja Lüthge

Eine aufreizende Meerjungfrau in schneewittchenartiger Farbgebung ziert den Titel des neuesten Comic-Hefts der Hamburger Zeichnerin Minou Zaribaf. Libra Rising beginnt dann auch mit einer Geschichte, die sich der mythischen Figur jenseits von Arielle und tätowierten Seemansarmen nähert. In den Tiefen des Meeres liegt das matriarchale Reich der schönen Nixen, die sich gekaperte Männer als Sklaven dienstbar machen.

Dieses Schicksal wiederfährt auch dem surfenden Hakaido, der von Stund an als Schwanzschuppenreiniger dient. Entschlossen sucht er nach einem Weg, der Gefangenschaft zu entkommen. Doch als die Flucht endlich möglich scheint, hat die „Mistress of the Mermaids“ den Wellenreiter von der Überlegenheit rigider weiblicher Herrschaft überzeugt. Er bleibt. Gut so, andernfalls wäre es ihm vielleicht wie dem blinden ungarischen Kriegshelden ergangen, dessen Frau sein ewiges Genöle über ihre Liebhaber Leid war. Mit Hilfe eines Gifttranks entledigt sich die enervierte Gattin in „Töten. The Angelmaker“ der aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrten Zumutung.

Mit Libra Rising stellt sich Minou Zaribaf erstmals einem amerikanischen Publikum vor. Mit Ausnahme von „The Mistress of the Mermaids“ (Text: Kayan Börü) sind die darin versammelten Geschichten bereits auf deutsch erschienen: in dem Band Chicanisma (1998) und in den Artige Zeiten-Heften 3-7 (1993-1997), die Zaribaf zusammen mit Andreas Michalke herausgegeben hat. Vor allem in letzteren dominieren autobioraphische Geschichten, die Freundschaft, Fernreisen, Sex und „Deutschsein“ in der linken Hamburger Subkultur der 90er Jahre umkreisen. Gezeichnet und getextet wurde mal gemeinsam, mal nebeneinander, zumindest wenn der Konflikt zwischen eigentlichem und uneigentlichem Dasein zu Gunsten des letzteren entschieden werden konnte, denn: „Comics zeichen meist Leute, die kein Leben haben.“

Im neuen Heft wurde, sicher auch mit Rücksicht auf den angepeilten amerikanischen Independent-Markt, konsequent auf alle um Authentizität bemühten Strips verzichtet. Autobiographische Comics sind in den USA, nach einer langen Phase der Beliebtheit, nur noch schwer zu verkaufen. Stattdessen Mistresses, Meerjungfrauen, Massenmörderinnen, die durch so unterschiedliche Quellen wie zum Beispiel den mittelalterlichen persischen Erzähler Nizami oder die lose historische Sammlung weiblicher Mordtaten von M. Newton inspiriert wurden.

Entstanden ist dadurch ein Comic-Heft, das mit seinen heterogenen (Frauen-)Geschichten auch als beherztes Dokument einer nicht alltäglichen „Standpoint-Moral“ gelesen werden kann. Die Frauen in Minou Zaribafs Geschichten agieren mit Bestimmtheit: Sie erreichen ihre Ziele durch Intelligenz oder aber mit Gewalt. Für den begehrenden heterosexuellen Mann scheinen insgesamt zwei Möglichkeiten adäquaten (Sexual-)Verhaltens zu existieren: die auf höhere Erkenntnis folgende glückbringende Unterwerfung oder Verstoßung und gewaltsamer Tod.

Der Wahl der Mittel – Raffinesse oder Roheit – entspricht die Ausgestaltung der Figuren. Jene Geschichten, die sich auf persischen Märchen beziehen, sind voller mandeläugiger, ebenmäßiger und erotischer Protagonistinnen. Deren durch Ähnlichkeit in Formen und Mustern angedeutete, enge Beziehung zu den ornamental gestalteten Hintergründen erweckt den Eindruck harmonischen Daseins. Selbst die am Stadttor aufgepflanzten Totenschädel gescheiterter Liebhaber fügen sich in den Anschein einer gerechten Ordnung. Die ganzen Seiten wirken durch die Ansammlung von Ornament, Erzähltext und Sprechblasen sehr dynamisch. Andererseits garantieren die fetten schwarzen Panel-Rahmen eine Distanziertheit zum Betrachter, die eine Abgeschlossenheit der dargestellten Welt suggeriert.

Ganz anders die „Töten“-Geschichten. Darin fallen als erstes Panel-füllende grobe, zerknitterte Frauen- und Männergesichter mit absurd großen Mündern und Zähnen ins Auge. Der hier besonders gepflegte holzschnittartige Zeichenstil verstärkt den Eindruck der nur sehr bedingt vorhandenen Handlungsfreiheit der Figuren. Die starken Schwarz-Weiß-Kontraste wiederholen sich in einer von jedweder Ambivalenz bereinigten Kommunikation. Auffällig ist der sparsame Einsatz von Sprechblasen; durch die Geschichten führt überwiegend ein sehr knapper Erzähltext. In sprachloser Direktheit werden Konflikte auf schnelle Art und Weise gelöst: erschlagen, vergiftet, erstochen.

Das Nebeneinander von Phantasie und Fatalismus macht Libra Rising zum Lehrstück und sei hiermit nicht nur Komplettsammlern empfohlen. Ansonsten eignet sich der farbige Einband übrigens auch vorzüglich als Tattoo-Vorlage.

Libra Rising, Chicanisma, Artige Zeiten, Reprodukt, Bülowstr. 52, 10783 Berlin, Fax: 030/2167501