Das ganze Leben tanzt fürs Autohaus

Mit der WM in Leipzig etabliert sich Breakdance als Leistungssport. Demnächst bei der Expo  ■   Von Alina Kanitz

Leipzig (taz) – Es war nicht etwa nur das gewaltlose Credo des HipHop, das die Franzosen in die tröstende Umarmung mit den Kanadiern trieb. Man war einfach eingeschnappt. Weil The Family von der Jury nicht für das große Finale nominiert worden waren, traten die beleidigten Franzosen zum kleinen Finale kurzerhand einfach nicht mehr an.

Aber „The Battle of the Year“, die sogenannte Weltmeisterschaft der Breakdancer, hätte in der Nacht zu Sonntag in Leipzig auch fair zu Ende gehen können. Mehr als 4.000 Besucher aus ganz Europa kamen, das Alte Messegelände war fest in HipHop-Hand. 16 Crews aus Südafrika, Ungarn, den USA, Japan oder der Schweiz. B-Boys, Breakdancer, Rivalen. Meist zwischen 18 und 28 Jahren alt. So auch das Publikum: Fast alles Tänzer, ein paar Rapper, ein paar Sprüher. Solche, die es schon sind, und andere, die es noch werden wollen. Und einzelne Söhne mit ihren Vätern waren auch dabei, als eine Schlacht geschlagen wurde, die einmal ein echter Kampf war. Aber Breakdance ist anno 1999 vornehmlich zu einem europäischen Phänomen geworden und eher dichter dran an Musikvideos und Tanzschulen als am „Beatstreet“-Leben von 1984. Die Momente, in denen das Linoleum auf der Straße ausgerollt wird und der Ghettoblaster dröhnt, sind selten geworden. Kriegerische Straßengangs hat es in unserer Republik wohl höchstens in der Fantasie und vielleicht wenige Jahre lang in Berlin gegeben.

Heute ist Breakdance vor allem Lebensgefühl – und Sport. Die Tänzer trainieren so hart wie Leichtathleten. Wer dreht den Headspin am längsten, wer beherrscht die Windmill am schnellsten. Leistungssport, nur dass der Sieger nicht mit der Stoppuhr, sondern von einer Jury ermittelt wird. Kein Reglement, keine Pflichtelemente. Alles frei. Die besten vier Crews stehen sich im Finale gegenüber. So ist es gedacht, nur The Family waren nicht einverstanden.

Gedrückte Stimmung im Publikum. Aber im großen Finale kam die Battle dann doch noch den nostalgischen Vorstellungen nah. Die Kontrahenten in einem Kreis. Auge in Auge, Provokation im Blick. Auf den Boden hechten, den Körper auf die Schultern wuchten, drehen, springen, Beine fliegen durch die Luft, Kopfstand, Pirouette, Electric Boogie als Antwort, krasse Moves, wilde Styles ... Auf die Schritte kommt es an. Nicht kopieren. Unverwechselbar sein. An der Kreativität scheint der Sport zu enden – oder erst zu beginnen. Die Szene war in Leipzig und tanzte die Halle, wo immer ein paar Meter Platz waren.

„Für manche ist Breakdance das ganze Leben“, sagt PA, Leipziger Tänzer und Jurymitglied. Während er sich den Lebensunterhalt mit einer kleinen Firma verdient, haben andere den Job an den Nagel gehängt. „Wie die das machen, weiß ich auch nicht, aber zum Leben reicht's wohl.“ Friedemann Schaaf vom Veranstalterteam schätzt: „Ein Drittel der Leute, die hier sind, leben davon.“ Shows für Autohäuser. Tanzen für Videos und manchmal sogar Auftritte im Theater.

Vor allem in Deutschland boomen HipHop und damit auch Breakdance seit dem letzten Jahr. Dabei geht „The Battle of the Year“ bereits ins zehnte Jahr. 400 Besucher kamen 1990 ins Freizeitheim Döhren bei Hannover. Ungestüme Zeiten, an die sich mancher lieber erinnert, als heute dabei zu sein. „Aber es ist nicht möglich, die Veranstaltung klein zu halten“, lassen die Organisatoren verlauten, „wir wollen auch niemanden ausschließen.“

Spätestens im nächsten Jahr muss niemand mehr draußen bleiben. Sofern die Veranstaltung das wird, worum sie sich beworben hat: Expo-Projekt 2000. Die größte Battle überhaupt ist geplant. Ob es danach weitergehen wird, hängt vom Überleben des HipHop und vom Breakdance selbst ab. Die Veranstalter scheinen davon nicht überzeugt. „Vielleicht ist es das letzte Battle of the Year?“, fragen sie im Programm. Vielleicht.