Querspalte

■ Schlaffes Brot

 Berliner Tage sind brutal. Jeden Mittag, wenn die Magensäfte steigen, beginnt für die Abgeordneten der heftigste Kampf des Tages: Reichstagskantine, ja oder nein? Bulette, Frikadelle, Fleischpflanzerl oder wat? Die Auswahl, die der größte Feinkosthändler Deutschlands unter der Glaskuppel anbietet, ist nicht groß. Die Qualität miserabel. Die Abgeordneten stöhnen, soviel schlaffes Brot (für 6,50 Mark, mit Kartoffelsalat) haben sie schon lange nicht mehr gemümmelt. Wie waren die Frikadellen am Rhein so schön: halb Rind-, halb Schweinegehacktes, zusammengehalten von einem Ei und wenig (!) geriebenen Brötchen. Noch keine 100 Tage da, schon schrappt die Stimmung in Berlin am Nullpunkt. Antje Vollmer interveniert persönlich: Die Kantine ist schlecht, von moderner, gesunder Ernährung kann keine Rede sein.

 Ach, Frau Bundestagspräsidentin. Dabei sollte sie verstehen: Die 40 Reichstags-Köche halten sich streng an die alte Berliner Rezeptur: viel Brot, wenig Fleisch. Im Gegensatz zum saftig-grünen Rheinland oder dem Fleisch produzierenden Bayern musste sich der Berliner seit je mit Kargem abfinden. Gras für glückliche Kühe wächst nun mal nicht üppig auf märkischem Treibsand. Traditionell ist die Berliner Küche frugal. Steckrüben, Kartoffeln, Brot. Ab und zu glänzt ein toter Bismarck-Hering neben den Kartoffeln. Alles, was für eine (katholische) Völlerei herhalten könnte, verabreicht sich der protestantische Berliner in homöopatischen Dosen. Früher wurde das Fleisch aus blanker Not gestreckt. Ernährungsphysiologisch ist das völlig okay. Jedes Kind weiß, dass tierisches Eiweiß das Cholesterin in die Höhe treibt, und das ist schlecht für die Gesundheit. Also, irgendwie passt die Berliner Bulette zur Berliner Republik: modern leicht, nicht ganz sättigend und ein wenig geschmacklos. Annette Rogalla