Dä leeve Jung von Kölle

Gestern starb der Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch. Er ist 90 Jahre alt und schon lange vor seinem Tod ein Heimatdenkmal geworden     ■ Von Klaudia Brunst

Am liebsten wäre er auf offener Bühne gestorben. Aber dieser Tod war immer unwahrscheinlicher geworden, nachdem sich der Kölner Prinzipal 1995 vom aktiven Dienst in seinem Kölner Familientheater verabschiedet hatte. Willy Millowitsch starb neunzigjährig gestern zwischen fünf und halb sechs in einem Kölner Krankenhaus. Nur seine Angehörigen und der Weihbischof von Köln waren dabei. Bereits zwei Stunden später informierte die Familie freilich die Presse. Am Wochenende wird der Volksschauspieler und Kölner Ehrenbürger in feierlichem Rahmen beigesetzt. Bis dahin, so bat Sohn Peter, habe man den Wunsch, mit der Trauer allein zu bleiben.

Das wird schwer möglich sein, denn die Millowitschs sind in den Augen der Kölner gewissermaßen Volkseigentum. Dafür hatte Vater Willy mit seinen populären Karnevals- und Benefizauftritten stets gesorgt. Bis ins hohe Alter blieb er der „leeve Jung“, der den Kölschen Frohsinn zum Exportschlager gemacht hatte. Dafür liebte und achtete man ihn in der Domstadt, sogar in den wilden Siebzigern, als andernorts die Mundartschausteller vor die Stadttore gejagt wurden. Und je älter „dä Willy“ wurde, desto rauschender waren die Feste, die ihm der WDR und die Stadt ausrichteten. Zu seinem Neunzigsten war die Parade der Gratulanten schier endlos.

Willy Millowitsch wurde am 8. Januar 1909 in eine alteingesessene Schauspielerfamlie geboren. Sein Großvater gründete die noch heute erfolgreiche Mundartbühne, auf die sein Vater Peter den kleinen Willy bereits zweijährig erstmals mitnahm. „Gelernt habe ich im Grunde nichts, nicht einmal meinen Beruf“, kokettierte Millowitsch gerne mit seiner autodidaktischen Karriere. Ganz selbstverständlich übernahm er 1940 die Leitung der Traditionsbühne.

Die Nachkriegsjahre waren auch für diese wirtschaftlich hart, und es ist wohl dem bloßen Überlebenswillen geschuldet, dass Millowitsch immer wieder beim Nordwestdeutschen Rundfunk anfragte, ob man seine Schwänke nicht auch im neuen Medium Fernsehen zeigen könne. „Bleib auf dem Teppich, Willy“, sollen die Herren gesagt haben. Mundart im bundesweit ausgestrahlten TV-Programm konnten sie sich nicht vorstellen. Am 27. Oktober 1953 wurden alle Zweifler eines Besseren belehrt: Weil eine Sportveranstaltung ausgefallen war, gab man dem Quengler eine Chance und übertrug eine stark abgemilderte Dialektfassung des Militärschwanks „Etappenhas“.

Aus dem Lückenbüßer wurde in den nächsten Jahren ein epocheprägender Dauererfolg. Neben dem rheinischen Millowitsch-Theater präsentierten sich alsbald auch das niederdeutsche Ohnsorgtheater und der Münchner „Komödienstadl“ im Fernsehen. Millowitsch hatte mit seiner Hartnäkkigkeit und gegen den erklärten Willen der Fernsehmacher ein eigenes Fernsehgenre geschaffen. Mit dem Volksstück und später den volkstümlichen bunten Abenden glich das national sendende Medium, das auf seine universelle Verständlichkeit angewiesen war, das Defizit fehlender regionaler Verankerung aus. Und wenn auch Heidi Kabel mit ihrem Ohnsorg-Theater häufiger auf dem Schirm war, wurde doch der Pionier Millowitsch zum Inbegriff dieser medialen Heimatbewegung.

Die Zusammenarbeit mit dem WDR war lange eine fruchtbare Symbiose. Millowitsch baute seine Bekanntheit aus, besang Platten („Schnaps, das war sein letztes Wort“), spielte in belanglosen Filmkomödien und wurde ob seiner Popularität auch in seiner Geburtstadt immer bedeutender. Dies rettete die Bühne und seinen Prinzipal, als Anfang der Achtzigerjahre das öffentlich-rechtliche Fernsehen – vom aggressiven Auftreten der Privaten stark verunsichert – in einen Modernsierungstaumel verfiel und die beliebten Mundartstücke ins Nachmittagsprogramm verbannen wollte. Da war aber in der Kölschen Alternativszene bereits eine ganz neue Mundartbewegung entstanden, die Heimatverbundenheit als Teil eines ökologischen Bewusstseins verstand. Und so verbündeten sich plötzlich so unterschiedliche Kulturschaffende wie die Karnevalskombo „Bläck Föös“ oder die Komikerin Trude Herr mit den Kölschrockern BAP.

Wenn auch in den Augen der Jungen Willy Millowitsch und seine Bühne bestenfalls ein zu schützendes Kulturgut war wie der Kölner Dom, entstand mit dieser Allianz doch ein neuer Popularitätsschub, dem sich auch der WDR nicht mehr verschließen konnte. Auf dem Weg zur „endgültigen Heiligsprechung“ (FAZ) wollte das Fernsehen nicht fehlen und erfüllte seinem neuen alten Liebling einen Herzenswunsch: Die „Kommissar Klefisch“-Krimis waren Willy Millowitsch auf den Leib geschrieben und heimsten fast automatisch hymnische Kritiken ein.

Am Ende seines Lebens war „Dä leeve Jung“ Willy Millowitsch, der gelegentlich auch als eitler und despotischer Theaterleiter und Vater in Erscheinung trat, zu einem Selbstläufer geworden. Rührselige Geburtstagsgalas, ein Bronzedenkmal am Rheinufer und die obligatorische Kölner Ehrenbürgerschaft zeugen davon. Am Wochenende wird er mit großem Bahnhof beerdigt werden. Sicher wird es sich der WDR nicht nehmen lassen, seinem Visionär wider Willen live die letzte Ehre zu erweisen. Denn mit Willy Millowitsch trägt das Fernsehen auch ein Stück eigene Programmgeschichte zu Grabe.