Der Säusler

Wie aus einem Rasensportler der Showstar Julio Iglesias wurde  ■ Von Oliver Rohlf

Auch wenn es viele nicht werden wahrhaben wollen: Mit Julio Iglesias kommt der vielleicht letzte große Albtraum der Unterhal-tungsgeschichte in unsere Stadt. Ein Mann, der die Menschen gespalten hat und der noch heute seine künstlerischen Eckpfeiler durch souveränes In-Grund-und-Boden-Säuseln auf die Plätze verweist.

Hier die Wichtigsten noch einmal zum Abarbeiten: Julio Iglesias ist a) blendender als die blank gewienerten Zähne von Engelbert, hat b) mehr Glamour als die nerzbehangene Tasten-tunte Liberace und c) 1000 Mal mehr Sex als Barry „Mandy“ Manilow in seinen besten Zeiten. Zugegeben, nicht unbedingt die Show-grössen, die einem als erstes einfallen, wenn es um den Einzug in die Annalen der Crooner-Zunft geht. Aber genauso wie es früher einmal den steuerbefreiten Berufszweig des durch die Welt jettenden Playboys gab, galt Julio Iglesias in den 70ern und frühen 80ern als der Inbegriff des romantischen Latin Lovers.

Iglesias, der sich selbst gerne als kleines Männchen mit dünner Stimme deklassiert, ist ein Zeichen seiner Zeit, das er bis ins Heute hat retten können: Die Art von erfolgreichem Mann, der sich die Haare föhnt, keine ernstzunehmende Sportart betreibt und 365 Tage im Jahr knackebraun ist. Wie sehr von gestern der feine Madrilene ist, wird besonders an der alternativen Imagegestaltung seiner beiden ebenfalls singenden Söhne Enrique und Julio Jr. deutlich: null Süffisanz vom Vater, dafür ein heftiges Becken- und Schmachtblick-Posing.

Die Biografie des mittlerweile 57-jährigen Iglesias liest sich wie das etwas andere Märchen aus 1001 Nacht. Denn eigentlich wollte der schlanke Sohn eines gutsituierten Rechtsanwalts und einer Sängerin Profi-Fußballer als Torwart bei den Königlichen von Real Madrid werden, bis ein schwerer Autounfall im Jahre 1962 den erst 19-Jährigen für gute drei Jahre außer Gefecht setzte. Und wie Jung-Julio auf seinem Krankenbett saß und innerlich von seiner Kicker-Karriere Abschied nahm, gab ihm der Chefarzt eine Gitarre in die Hand. Hätte er das bloß nicht getan, mögen jetzt manche denken, aber bereits 1963 waren die Weichen gestellt, und aus dem Rasensportler wurde ein Showstar.

Schon auf seinem Debüt Soy aus dem Jahr 1970 verfiel Iglesias, der sich zwischendurch noch an ein paar Semestern Jura probierte, in jenen gezogenen Singsang, der stets so klingt, als würde ihm ein eiskalter Tautropfen den Rücken herunterrinnen. Dazu werden die Augen geschlossen und das Mikro linkshändig in Richtung Mund gedeutet. Der Eros des Julio vollzieht sich in der Andeutung von Leidenschaft, ein gefährlich-feuriger Vulkan, der für abenteuerhungrige Spanienurlauberinnen stets auf „kurz vor'm Ausbruch“ gehalten wird. Eines muss man dem Kitsch-Mimen dabei lassen: Bekommen hat er sie alle. Nicht nur die über 1000 Frauen, die sich der schlüpfrigen Sage nach in Julios Kissen geschmiegt haben sollen, und auch nicht die über 200 Millionen Albumabnehmerinnen sind gemeint.

Interessant an Iglesias sind die Duettpartner, die der Spanier an Land ziehen konnte: Frank Sinatra und Sting waren dabei, Stevie Wonder hat sich das Mikro ebenso mit Iglesias geteilt wie Dolly Parton und die Beach Boys. Ganz vorne dabei natürlich die Paarungs-Arie mit Diana Ross („All of you“) und die schamlose Danksagung an „All The Girls I've Loved Before“, für die Iglesias den alten Haudegen Willie Nelson ins Studio bekam. Dass es in den letzten Jahren ein wenig stiller um den Weltreisenden in Sachen Sex und Schmalz geworden ist, hat zwei Gründe. Zum einen musste der eitle Sänger die Folgen einer missglückten Augenlid-Operation auskurieren, und zum anderen ist der ältere Herr jetzt glücklich mit einer jüngeren blonden Frau aus Schweden verheiratet, die ihm auch ein Kind geschenkt hat. Im Zuge dieser kleinfamiliären Glückseligkeit made in Florida sagte Iglesias vor ein paar Monaten auf seine langjährige Konzertabstinenz in Deutschland angesprochen, dass er auch hierher käme, wenn seine Fans ihn nur riefen. Anscheinend haben sie gerufen. Ausbaden mag das, wer will. Oliver Rohlf

Mo, 27. September, 20 Uhr, CCH 1