Ein Ort, der atmet

■ John Neumeiers Ballettzentrum in Hamm feiert sein zehnjähriges Bestehen

In Hamburg, so sagte kürzlich die Kopenhagener Starballerina Rose Gad, die bis zum Ende der letzten Spielzeit in John Neumeiers Ensemble tanzte, habe der Weg zur Bühne ihr immer offen und klar vor Augen gelegen. Kein Müll, der, bildlich gesprochen, erst mal beiseite geräumt werden muss, ehe das Ziel, die Aufführung erreicht ist. Plastischer lässt sich der Eindruck kaum beschreiben, den man auch als Besucher hat, sobald man das rote Backsteingebäude in der Caspar-Voght-Straße in Hamm betritt und sich im lichten Treppenaufgang des Hamburger Ballettzentrums befindet. Ein Ort, der atmet, in dem das Wort Disziplin, das im harten Tänzerberuf an erster Stelle steht, keine Gedanken an drückende Fron hervorruft.

Der Weg zur Bühne erstreckt sich hier von den ersten Schritten der „Winzlinge“ im „Bournonville“-Saal bis hin zu den Proben der Compagnie im „Nijinsky“-Studio, maßstabsgerecht angelegt zur Staatsopernbühne. Neun weiträumige, helle Ballettsäle, benannt nach berühmten Persönlichkeiten der Tanzgeschichte, dazu die Internats-Etage mit 34 Plätzen, fasst das Haus. Die Kleinsten und die Profis unter einem Dach – ein Tanzinstitut mit einer Ausbildungsstätte, die mittlerweile zu den weltweit renommiertesten zählt. Am 23. September feiert das Hamburger Ballettzentrum John Neumeier 10-jähriges Jubiläum.

Sein künstlerisches Konzept sei aufgegangen, konstatierte Neumeier bereits vor drei Jahren. Über 30 Prozent der Tänzer des Hamburg-Balletts rekrutieren sich heute aus der angeschlossenen Ballettschule. Tänzerpersönlichkeiten wie die Italienerinnen Laura Cazzaniga und Silvia Azzoni und der Weißrusse Ivan Urban, alle binnen kürzester Zeit in die Solistenriege aufgestiegen, gehören dazu. 140 Studenten haben an der Schule, deren Theaterklassen den Status einer „staatlich anerkannten Berufsfachschule für Ballett“ genießen, ihren Abschluss geschafft und ausnahmslos ein Engagement gefunden, in klassischen ebenso wie in modernen Compagnien.

Heute scheint alles so selbstverständlich. Dabei hat John Neumeier lange für ein solches Zentrum gekämpft und es schließlich gegenüber der Kulturbehörde zur Bedingung für seinen Verbleib in Hamburg gemacht. Mit dem ehemaligen Mädchengymnasium in einem typischen Fritz-Schumacher-Bau aus den 20er Jahren war dann ein geeignetes Objekt gefunden. Bis dato hatte man sich auf engstem Raum in der Staatsoper arrangieren müssen. Die Schüler standen im Bierpalast am Dammtor an der Stange. Bühnenproben, selbst vor Premieren schon knapp bemessen, waren für Neubesetzungen, Wiederaufnahmen und vor den zahlreichen internationalen Gastspielen des Hamburg-Balletts gar nicht vorgesehen. Dass also die Compagnie, die gerade für ihre Ensemble-Leis-tung immer wieder hoch gelobt wird, so gut aussieht, verdankt sie nicht zuletzt den optimalen Arbeitsbedingungen.

In den Ensembleszenen der großen Ballette wie A Cinderella Story, Dornröschen oder die im Oktober auf dem Spielplan stehende Neueinstudierung von Illusionen – wie Schwanensee tanzen auch einige der Theaterklässler. Eine wertvolle Erfahrung, die ihnen aber nicht automatisch den Weg ins Hamburg-Ballett ebnet. Eine große Compagnie, nicht um die Klassiker auf die Bühne zu bringen, sondern um neue Wege in der Ensemble-Choreografie zu gehen, ist für Neumeier eine künstlerische Notwendigkeit.

Es gibt nicht mehr viele Intendanten in Deutschland, die so arbeiten wie er. Die Situation des Balletts hat sich gewandelt und sieht hierzulande nicht rosig aus. Viele Ensembles an den Stadttheatern wurden aufgelöst. Choreografen ziehen es heute vor, mit kleinen Compagnien zu arbeiten. Trübe Aussichten für angehende Tänzer nach zehn harten Lehrjahren, die auch in Hamburg zum Nachdenken zwingen. Marga Wolff

Tag der offenen Tür, 2. Oktober, 14 - 18 Uhr, Ballettzentrum, Caspar-Voght-Str. 54