Regierung läuft zur großen Papierform auf

■  Arbeitsplätze und Hochleistungsnetze für alle: Das Bundeskabinett hat gestern in Berlin ein „Aktionsprogramm“ für seine Internetpolitik beschlossen. Nachhaltiger Widerstand aus den Bundesländern ist jetzt schon sicher

Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat das Kabinett von Gerhard Schröder einen Beschluss gefasst, der bei bei näherem Hinschauen nur ungläubiges Staunen auslöst. Im Juni hatten die Minister noch in Bonn mal eben beschlossen, selbst die härteste Kryptographie im privaten Netzverkehr freizugeben. Eine heilige Kuh sämtlicher Regierungen, auch der amerikanischen, war damit geschlachtet – auf dem Papier zumindest ist das in diesen Fragen federführende Wirtschaftsministerium im nächsten Jahrhundert angekommen.

Gestern nun ließen Forschungs- und Wirtschaftsministerium gemeinsam noch höher gesteckte Ziele absegnen. Das neue Grundsatzpapier lässt die Handschrift von Sigmar Mosdorf erkennen, als Netzexperte der SPD aus der nach ihm benannten Enquetekommission bekannt und heute Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Es will ein „Aktionsplan“ sein und verspricht wenig überraschend vor allem „Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft“. Ob und wie sie entstehen, ist keine Frage, über die eine Regierung entscheiden könnte. Der Beschluss stellt nur fest, dass die „Informationswirtschaft“ mit einem Gesamtumsatz von 206 Milliarden Mark 1999 erstmals das Volumen des Autombilmarktes übertreffen wird.

Solche Prognosen sind nicht neu und anfechtbar genug. Gewerkschaften rechnen zu Recht vor, dass die neue Technik zuerst einmal Arbeitsplätze vernichtet, bevor sie neue schafft. Formelhaft versichert das Kabinett denn auch nur, dass es diesen Prozess fördern will und klagt „gemeinsame Anstrengungen“ der Tarifpartner ein. 350.000 „zusätzliche Arbeitsplätze“ sollen auf diese Weise bis zum Ende der Legislaturperiode entstanden sein.

Bemerkenswerter als diese kostenlose Absichtserklärung ist indessen, dass der Aktionsplan zunächst einmal einen Mangel beschreibt. Ganze 9 Prozent der deutschen Bevölkerung sind heute an das Internet angeschlossen – eine Studie der Unternehmensberater Anderesen wies im Frühjahr nach, dass ausgerechnet in den Chefetagen der deutschen Konzerne besonders hartnäckige Netzmuffel sitzen. Auch das kann keine Regierung ändern, ganz anders als ihre Vorgängerin sieht die rot-grüne Koalition darin aber zum ersten Mal ein Problem. Sie fordert nicht weniger als ein „Internet für alle“ mit Hochleistungsnetzen bis zu jeder Wohnung und glaubt, dass solche Ziele nur erreichbar sind, wenn die gesetzlichen Vorgaben der alten Regierung zu den Akten gelegt werden. „Die Bundesregierung“, heißt es im Abschnitt „Stärkung des Vertrauens durch sicheren Rechtsrahmen“, werde „Gespräche mit den Ländern aufnehmen“, um „Vorschläge für eine zukunftsfähige Fortentwicklung des Ordnungsrahmens für Information, Kommunikation und Medien zu erarbeiten“.

Nun haben die Länder bereits mit einem Stasatsvertrag das Internet in einem Maße ihren Rundfunkgesetzen unterworfen, das weder mit der Meinungsfreiheit noch mit der Technik vereinbar ist. Die Chancen jedoch, ausgerechnet diesen Knebelvertrag loszuwerden, schwinden von Landtagswahl zu Landtagswahl. Kaum vorstellbar, dass die CDU-Mehrheit im Bundesrat ihren Kontrollanspruch just auf einem Gebiet aufgeben wird, auf dem sie sich so erfolgreich als Hüter von Recht und Ordnung profilieren kann.

Aber am neuen Berliner Kabinett mochten sich die Ministerien nicht um das voraussehbare Scheitern ihres Plans kümmern. Sie legten lieber nach und versprechen Dinge, die jeden deutschen Beamten schlicht um den Verstand bringen. Schon am ersten Janurar 2000 sollen wir unsere Steuererklärung auf „elektronischem Weg“ abgeben können. Ähnliches soll für die Kungeleien um öffentliche Aufträge gelten. Bereits Ende dieses Jahres sollen „Kernvorschriften der Vergaberegeln“ so umgeschrieben werden, dass „öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit haben, elektronische Auschreibungsverfahren zu nutzen“.

Niklaus Hablützel

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