■ Die Idee, rassistische Gewalt nach US-Vorbild als „hate crimes“ zu bestrafen, bringt nichts. Eine Antwort auf Diedrich Diederichsen: Vorsicht mit neuen Strafen
Todd Mitchell hatte zusammen mit drei Freunden einen Mann zusammengeschlagen: Vor dem Bezirksgericht in Wisconsin hätte er dafür wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung höchstens zwei Jahre Haft erhalten dürfen. Aber Mitchell ist Schwarzer – und sein Opfer ein weißer Jugendlicher. Das Bezirksgericht gelangte zu der Überzeugung, dass sich die Schwarzen ihr Opfer nach dem Besuch des Kinofilms „Mississippi Burning“ nur wegen seiner Hautfarbe ausgesucht hatten. Das Strafgesetzbuch des Bundesstaates Wisconsin setzt für so genannte hate crimes eine Strafverschärfung fest: „Wenn eine Person vorsätzlich ein Verbrechen begeht, das unter Abschnitt a.) dieses Gesetzes fällt und das sich gegen eine Person wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer nationalen oder persönlichen Herkunft richtet ..., kann die vom Gesetz vorgesehene Haftstrafe um bis zu fünf Jahre überschritten werden.“ Die Richter schickten Mitchell also für sieben Jahre ins Gefängnis – ein Urteil, das 1993 vom Obersten Gerichtshof der USA bestätigt wurde.
Diedrich Diederichsen hat in der taz vom 10. 9. den an sich sympathischen Vorschlag gemacht, dem in Deutschland grassierenden Rassismus nach US-Vorbild mit verschärfter Kriminalisierung zu begegnen. Es ist ein riskantes Unterfangen, als Mittel gegen die bereits bestehenden no-go-areas für Menschen, deren Aussehen dem deutschen Volksempfinden missfällt, das Strafrecht zu mobilisieren: Gerade der deutsche Staat und seine Agenturen, die die Strafgesetze durchsetzen, stehen nicht auf der Seite der Minderheiten, deren Bewegungsspielraum durch die Verfolgung von hate crimes vergrößert werden soll. Wie sollen Polizei und Justiz, die oftmals selbst diskriminieren, antirassistische Strafvorschriften angemessen interpretieren? Werden am Ende nicht, siehe oben, eher Migranten wegen eines angeblichen hate crimes eine verschärfte Strafe kassieren als die Jungnazis, um die es Diederichsen geht?
Die Idee der Hate-crime-Gesetze wirft zudem die Frage nach dem Charakter des Strafrechts an sich auf, nach dem weithin unklaren Verhältnis von Norm, Strafe und Gesellschaft. Diederichsen nimmt an, die Sanktionierung von hate crimes könne die Grenze „verbotenen Verhaltens“ so markieren, dass unerwünschte Entwicklungen gestoppt werden. Auf jeden Fall aber, hofft er, würde die Debatte über die neuen Normen ein Bewusstsein dafür wecken, wie sehr der deutsche Alltag durch Rassismus geprägt ist.
Schaut man auf andere Felder, auf denen, nach intensiver Lobbyarbeit, versucht wurde, Strafrecht als soziales Steuerungsinstrument einzusetzen – z. B. Umweltstrafrecht, Embryonenschutzgesetz, Produkthaftung, Subventionsbetrug –, erscheint dieser Optimismus unbegründet. Auch die unzureichende Ahndung von Rassismus mit dem bestehenden Instrumentarium weckt Zweifel am Sinn neuer Strafgesetze.
Hate-crime-Regelungen erhöhen entweder, wie in den USA, die Strafen für bereits verbotenes Verhalten, weil dieses rassistischen Motiven folgt. Oder sie stellen noch nicht verbotenes rassistisches Verhalten als neuen Tatbestand unter Strafe. Im deutschen Strafrecht gibt es mit dem Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches, Volksverhetzung, einen solchen „neuen“ Hate-crime-Tatbestand (maximal fünf Jahre Haft). Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist jedoch gering – trotz der öffentlichen Diskussion, die der Einführung voraus ging, vor allem wegen des Abschnitts, der sich gegen die „Auschwitz-Lüge“ richtet. Der Tatbestand wird von den Gerichten nämlich sehr eng ausgelegt. Schon gar nicht hat der Para- graf 130 die symbolische Kraft entfaltet, die staatsfrommen Rassisten, „für die etwas verboten sein muss, um als falsch erkannt zu werden“ (Diederichsen), von ihren Tiraden, Agitationen und ihrem ausgrenzendem Verhalten abzuhalten. Im Gegenteil: Der Rassist, der im Verfahren schließlich vom Vorwurf der „Volksverhetzung“ freigesprochen wird, fühlt sich in seinem Verhalten bestätigt.
Auch dass die Strafverschärfungen für hate crimes in Deutschland die Wirkung hätten, die potenziellen Opfer zu schützen, erscheint zweifelhaft: Verboten ist das zu Grunde liegende rassistische Verhalten von der Beleidigung über die Körperverletzung bis hin zur Brandstiftung ja ohnehin – ohne dass das die Täter und ihre Angehörigen erkennbar rühren würde. Für die jungen Männer, die die Taten begehen, mag im Gegenteil das Verbot sogar zusätzlich motivieren. Sie wollen Grenzen überschreiten – wenn auch nur in die eine, weithin akzeptierte Richtung, zu Lasten unerwünschter Minderheiten. Und harte Strafen sieht das deutsche Strafrecht ohnehin vor: Der Strafrahmen für eine gemeinschaftlich begangene Körperverletzung, wie Todd Mitchell sie beging, reicht nach BRD-Recht bis zu zehn Jahren.
Allerdings wird dieser Strafrahmen von den Gerichten kaum je ausgeschöpft. Hier wäre ein Ansatzpunkt für die positive Umsetzung der Überlegung von Diederichsen, dass Opfer von hate crimes Anspruch darauf haben, dass das besondere Unrecht, das ihnen angetan wurde, im Urteil Niederschlag findet: Das Strafrecht könnte signalisieren, dass eine rassistisch motivierte Straftat die Schuld des Täters vergrößert, ohne dass es durch prinzipielle Strafschärfungen oder neue Tatbestände noch weiter ausufernd und autoritärer ausgestaltet wird.
Der Paragraf 46 des Strafgesetzbuchs regelt die Grundsätze der Strafzumessung: Hier sollen die „die Beweggründe und Ziele des Täters“ berücksichtigt werden, die „Gesinnung, die aus der Tat spricht“, aber auch „die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen“, also objektive und subjektive Faktoren. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, wird aber im Gesetz nicht präzisiert. Rassistische und diskriminierende Motive sollten hier ausdrücklich als Umstände genannt werden, die, wenn sie vorliegen, gegen den Täter sprechen. Damit würde auch etwas erreicht, was seit langem in der Strafrechtswissenschaft gefordert wird: eine Gewichtung und Konkretisierung der allgemeinen Strafzumessungsgrundsätze zumindest an einem gesellschaftlich brisanten Punkt.
Ein solcher gezielter Einsatz von Strafrecht gegen rassistische Täter macht jedoch nur Sinn, wenn der Staat, der straft, auch Handlungsmacht weitergibt. Die Debatte um Strafrecht und hate crimes darf also auf keinen Fall losgelöst werden von dem Engagement für Antidiskriminierungsgesetze. Denn nur solche Gesetze sprechen den Minderheiten, die nicht allein durch Straftaten bedroht sind, von ihnen selbst einklagbare Rechte zu und erkennen sie damit als Subjekte an. Oliver Tolmein
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