Knödeln, leiern, husten

■ Ein Fall von Torschlusspanik: Der Wu-Tang-Rapper Ol Dirty Bastard liefert noch schnell sein zweites Soloalbum ab, bevor er sich dem Gericht stellt. Die Eile hat sich gelohnt

Dass das Album jemals fertig werden würde, daran hatte man selbst beim zuständigen Label Elektra nicht mehr geglaubt. Doch eines Tages lagen plötzlich beim verantwortlichen Sachbearbeiter die fertigen Bänder in der Ablage – wie sie dort hingelangten, ist nicht bekannt. Dann ging alles ganz schnell. Der Sachbearbeiter wagte einen Blick in Ol Dirty Bastards Terminplaner, entdeckte dort eine Reihe empfindlicher Gerichtstermine, sah, dass die Veröffentlichung pressierte, und überredete den bekanntermaßen schwierigen Künstler noch zu einigen kurzfristigen Videodrehs.

Irgendwie lief wohl auch die Produktion so. Genaueres ist zwar nicht überliefert, doch klingt das Album, als sei es in großer Eile produziert worden. Als seien die Tracks in ihrer Rohfassung längst fertig gewesen, nur noch darauf wartend, von Ol Dirtys delirierendem Singsang veredelt zu werden. Wie aber muss man sich die Fertigstellung des Albums vorstellen? Dass seine Vertrauten strategische Höchstleistungen vollbrachten, indem sie den einen günstigen Moment abwarteten, um den generalverwirrten Rapper mit fadenscheinigen Begründungen und Versprechungen (Drogen, noch mehr Drogen, Frauen, Geld) ins Studio zu winken, ihm dann ein Mikro in die Hand zu drücken und, derart vorbereitet, unter Stoßgebeten die Aufnahmetaste zu bedienen? Vielleicht war es so.

Die produktionstechnischen Sperenzien jedenfalls, die der Produzent RZA auf Ol Dirty Bastards Debüt „Return To The 36 Chambers: The Dirty Version“ noch sorgsam ausbreitete, um den typischen Wu-Tang-Sound an seine Grenzen zu treiben, sie fehlen auf „Nigga Please“ beinahe völlig. Es gibt keine bedeutsamen Kung-Fu-Movie-Inserts, nur selten Streicher und auch keinen gespielten Witz. Die Grundstimmung ist beinahe freundlich. Statt der handelsüblichen Dramatik gibt es mehrheitlich umstandslos funktionelle Tracks auf Beatbox-Basis, hier und da appliziert mit einer gezupften Gitarre, etwas Orgel, Handclaps und einem sanftem Summen. Die Single „Got Your Money“ ist ein ansehnlich plumpes Stück Old-School-Disco-Hop mit einem reizend unmotiviert runtergenudelten Refrain von Sängerin Kelis, mit „Cold Blooded“ gibt es eine formschön mit links hingerotzte Rick-James-Coverversion. An den 13 Stücken haben insgesamt acht verschiedene Produzenten(-Teams) herumgewerkelt – unter anderem The Neptunes, Buddah Monk, True Master, RZA und Flavahood Productions –, und man muss sagen, es hat sich gelohnt.

Anders als bei „Return To The 36 Chambers“ wird auf „Nigga Please“ Ol Dirty Bastards Wahnsinn vor einem schlichten Hintergrund kontrastiert. Er knödelt, leiert und hustet seine Texte, mitunter nimmt er mit nur einem Wort gleich mehrere Oktaven. Ol Dirty Bastard ist rein technisch betrachtet kein sauberer Rapper, doch Spontaneität und jahrelanger Mischkonsum machen ihn zu einem einzigartigen. Es geht bei ihm ausschließlich um Sex und Geld in allen Lebenslagen, er ist wahrscheinlich der authentischste Rapper, den man sich denken kann. Es dürfte schwer fallen, „Nigga Please“ eine Metaebene unterzujubeln, höchstens ist sie einzuordnen als eine strategische Glanzleistung unfreiwilliger Intelligenz. Sie ist ein funkelndes Zeugnis komplett bedröhnter Bewusstlosigkeit, krank und stumpf, wenn man so will, irgendwie auch ziemlich cool.

Doch was für den Konsumenten auf der Popebene ausgesucht putzig daher kommt, hat im konkreten Leben leider seine Nachteile. Ol Dirty Bastard ist derzeit auf Entzug. Sollte er vor Gericht erscheinen, so muss er sich zunächst in L.A. für das Tragen schusssicherer Westen verantworten (in Kalifornien erfüllt dieser Sachverhalt bei vorbestraften Personen den Tatbestand des Terrorismus), gegen Ende des Monats steht er dann in New York vor Gericht für diverse Verkehrsdelikte (Fahren ohne Führerschein unter Drogeneinfluss) und den Besitz von einer nicht unerheblichen Menge von Crack und anderer Freizeitdrogen. Ihm drohen bis zu 25 Jahren Haft.

Harald Peters

Ol Dirty Bastard: „Nigga Please“ (Elektra/Eastwest)