Den Militärs geht's an den Kragen

Ein argentinischer Richten will einen Prozess gegen frühere hochrangige Militärs wegen Kindesentführung während der Diktatur eröffnen  ■   Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Sieben ehemalige hochrangige Militärs werden in Argentinien voraussichtlich wegen systematischer Kindesentführung in 194 Fällen vor Gericht gestellt. Das teilte der zuständige Richter Adolfo Bagnasco am Mittwoch mit.

Während der Militärdiktatur 1976 bis 1981 sollen die Angeklagten inhaftierten schwangeren Frauen ihre Kinder weggenommen haben. Unter den sieben befinden sich das ehemalige Juntamitglied Admiral Emilio Massera und der letzte Präsident der Diktatur Exgeneral Reynaldo Bignone. Mit dieser Entscheidung rückt der Prozess gegen die ehemaligen Militärs immer näher. Es steht nur noch die Entscheidung des Bundesgerichts aus, die Anklage gegen die sieben auszuweiten.

Während der argentinischen Militärdiktatur wurden etwa 30.000 Menschen von den Machthabern entführt und ermordet. Unter den Opfern der Militärs befanden sich auch schwangere Frauen, die ihre Kinder in den berüchtigten Folterlagern der Diktatur zur Welt brachten. Nach der Geburt entrissen die Militärs den Frauen ihre Babys und verkauften sie an Adoptiveltern oder gaben sie an Militärfamilien. In der Anklageschrift heißt es: „Die Zeugenaussagen zeigen, dass das neugeborene Kind einige Stunden, manchmal auch einige Tage bei der Mutter in einem Raum für schwangere Frauen blieb. Dann wurde das Kind von der Mutter weggenommen, und die Mutter wurde in einen anderen Trakt verlegt. Sie hat niemals wieder etwas von ihrem Kind gehört.“

Trotz zweier Amnestiegesetze könnte der Babyraub den Militärs doch noch zum Verhängnis werden. Denn für den Tatbestand der Kindesentführung garantieren die Amnestiegesetze keine Straffreiheit. Lange Zeit lebten die ehemaligen Militärs in der Sicherheit, dass sie von der Justiz des Landes für die während der Diktatur begangenen Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Jetzt müssen sie sich daran gewöhnen, wieder auf der Anklagebank Platz zu nehmen. Alle sieben haben nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1983 schon einmal im Gefängnis gesessen oder waren angeklagt.

Nach Angaben der „Großmütter der Plaza de Mayo“ sollen die Militärs über 500 Müttern die Kinder entrissen haben. Das Militär leugnet dies nicht, spricht aber lediglich von 240 entführten Kindern. Dennoch sind erst 61 solche Fälle aufgeklärt worden. Über 30 Kinder, die inzwischen erwachsen sind, kehrten wieder zu ihrer biologischen Familie zurück. Einige blieben aber auch bei ihren Adoptiveltern. In einer Gendatenbank haben die Großmütter Blutproben gesammelt, damit die Identität von Kindern festgestellt werden kann, die Zweifel haben, wer ihre leiblichen Eltern sind.