Die Abwahl des Lächelns

Das Grinsen geht weiter: Der Erfolg ist weg, Ironie war nie vorhanden, aber das Gesicht des Kanzlers lächelt weiter vor sich hin. Zur Politik der Reform des Sozialstaates gibt es vielleicht keine Alternative, aber zur Körperpolitik Schröders muss es eine geben  ■   Von Brigitte Werneburg

Da geht für die SPD und den Kanzler eine Wahl nach der anderen verloren, und merkwürdigerweise schöpft man dabei Hoffnung: Dass es endlich verschwunden sein möge, Gerhard Schröders gut gelauntes Gewinnergrinsen, das jetzt schon so lange, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit zu sehen ist. Es scheint, als habe er es einfach auf seinem Gesicht vergessen. Am Anfang mochte es noch den Eindruck erwecken, als freue sich der frisch gekürte Kanzler an ihm. Da gefiel es auch noch den Deutschen. Aber je länger es dann beobachtet wurde, desto mehr verlor es seinen Charme, desto deutlicher wurde die Grimasse. Und plötzlich wirkte es wie ein nach der Party liegen gelassenes Jackett, das endlich jemand wegräumen und in die Reinigung bringen sollte.

Doch offenbar dachte niemand daran, nach der großen Sause aufzuräumen. Das Grinsen blieb auf Schröders Gesicht, und es blieb und blieb. Und er gefiel überhaupt nicht mehr. Man begann sich zu fragen: Hat der Mann einen Webfehler oder sind wir hier bei „Alice in Wonderland“? Für letztere Hypothese sprachen die ebenso rasanten wie fatalen Wachstumsschübe und Schrumpfungsprozesse des neuen Amtsinhabers. Mal schien sich der Kanzler teleskopartig in die Höhe geschoben zu haben, zum Beispiel nachdem er seinen Umweltminister Trittin zusammengestaucht hatte. Dann wieder wirkte er nach einem Anruf Ferdinand Piächs, der Herzkönigin im Autoland, winzig klein.

Selbst das Kanzleramt, das Axel Schultes für Helmut Kohl entworfen hatte, schien ursprünglich von wohl proportionierter und schlichter Größe. Doch kaum war Gerhard Schröder am Ruder, erkannte man schlagartig, dass hier ein schockierend monströser Kasten seiner Fertigstellung entgegen geht. Es konnte nur das große, satte Edamer-Katzen-Grinsen im Innern des Rohbaus sein, das den „Leitungskubus“ (heißt tatsächlich so) plötzlich derart aufblähte. Notgedrungen musste sich irgendwann die Frage stellen, ob dies sich verselbstständigende Grinsen dem obersten Souverän im Land nicht überhaupt missfiel.

Jetzt wollen ihm alle die Havannas wegnehmen

Warum sollte, wer die Wahl hatte, nicht mal probieren, ob dieses impertinente Grinsen nicht zum Verschwinden zu bringen war? Anders als Alice wundert sich niemand, eine inzwischen beträchtliche Menschenmenge in den Städten an Rhein und Ruhr, in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen die Frage erörtern zu sehen, ob man es nicht exekutieren solle. Bevor allerdings noch die bösen Berliner zur weiteren Vollstreckung schreiten können – gleichgültig, ob ein Grinsen ohne Körper überhaupt zu köpfen ist oder nicht –, beginnt es sich aufzulösen. Wenn im Frühjahr die wahlberechtigten Scharfrichter in Schleswig-Holstein aufmarschieren werden, müssen sie es womöglich suchen gehen.

Kurz: Es besteht wenig Hoffnung für Gerhard Schröder. Warum gefällt er uns so ganz und gar nicht mehr? Nachdem wir ihn vor einem Jahr noch so smart fanden? Warum will ihm nicht nur seine Partei den Kaschmirmantel, die Havannas und die Fernsehauftritte wegnehmen? Das kann mit seiner Politik unmittelbar nichts zu tun haben. Als ihm zunächst Lafontaine und später das ganze Saarland abhanden kam, da mochte man genau darin noch einen Grund zum Grinsen vermuten. Und nach der gleichfalls verlorenen Hessen-Wahl, bei der er immerhin einen Finanzminister Eichel für seine Regierungsmannschaft gewann, mochte man sagen: So viel Gewinn bei so hohen Verlusten war noch nie.

Denn nach den Umfallertiteln wie Staatsbürgerrecht und Atomausstieg, nach nachgebesserten Ökosteuern, Steuerreformen, Scheinselbstständigkeits- und 630-Mark-Gesetzen, hatte er endlich ein Programm. Ein Sparprogramm. Für die auswärtige Kulturpolitik, die Rentenkasse, den Aufbau Ost, die Bundeswehr etc. Leider keines fürs Zähneblecken. Ein Sparprogramm, zu dem es keine wirkliche Alternative gibt. Das deutet inzwischen selbst Wolfgang Schäuble an.

Nun kann zwar eine alternativlose Politik nicht unbedingt Politik genannt werden, und mit Sachzwängen macht man keinen großen Staat. Umso nötiger wäre es also, eine Bevölkerung zu becircen, die der Aufgabe, den Sozialstaat angesichts prekärer werdender Ressourcen zu reformieren, mit einigem Unverständnis gegenübersteht. Als richtig gut erwiese es sich gar, Lobbygruppen, die auf diese Aufgabe nicht nur mit Unverständnis, sondern schlichtem Unwillen reagieren, mit Härte zu begegnen.

Aber was tut Schröder? Ohne wirkliche Dringlichkeit gibt er den Lobbyisten nach, und kaum ist das geschehen, präsentiert er der Bevölkerung beinhart sein immer (noch) gleiches Grinsen. Das also ist der ehemals viel bewunderte Medienmann, der, wie sich jetzt herausstellt, noch nicht einmal sein Gesicht kontrollieren kann? Manchmal versucht er sein Grinsen wegzuzwingen. Die Kraftanstrengung ist ihm anzusehen, und trotzdem hat man Angst, er selbst übrigens auch, so scheint es, dass es sich klammheimlich doch wieder auf sein Gesicht stiehlt. In seiner Anspannung wirkt Schröder dann erschreckend gefasst – und scheint doch nicht Herr seines Gesichts zu sein.

Sein Gesicht ist eben immer im Industriellenclub, egal wo sich Schröder gerade selbst befindet. Es hält sich immer unter den Machern der Leitungsebene auf, wo das kernig hingegrinste Erfolgsgesicht Konjunktur hat. Ferdinand Piäch zum Beispiel trägt ebenfalls dieses infame unsympathische Katzengrinsen im Gesicht, freilich sehr fein dosiert. Harald Schmidt setzt es auf, wenn er einen Witz losgeworden ist. Er meint es indessen ironisch. Pech für Schröder, dass der Erfolg weg ist, die Ironie nie vorhanden war, das Gesicht aber stur beim gleichen Ausdruck bleibt. Wenigstens so stur, wie sich jetzt der komplette Bundeskanzler zu gebärden sucht, wenn er nach jeder verlorenen Wahl betont, dass es bei seinem Programm bleibt.

Wirkt nicht der ganze Mann irgendwie ferngesteuert? Zombiehaft? Völlig ironiefrei? Nun ja, da steht seine Würde und die Würde seines Amts davor. Offensichtlich weiß Schröder, dass er ein Problem mit seinem satten Grinsen hat, davon zeugt das ständige Betonen seiner Würde. Es scheint ihm klar zu sein, dass etwas an ihm ganz gewaltig peinlich ist. Also zieht er die Würdekarte, aber sie sticht nicht. Längst ist er unter der herbeigerufenen Last an Würde verschütt gegangen.

Der Nutzer der Medien wird zu ihrem Opfer

Er kriegt es einfach nicht hin, er wirkt einfach nie souverän. Im Umgang mit den Medien schon gar nicht. Hatte er nicht einst die Scheidung von Hillu per Fax aus der hannoverschen Staatskanzlei an die Redaktionen in aller Welt geschickt? Und nun kriegt er sich nicht mehr ein, wenn auf RTL mit „Wie war ich, Doris?“ eine Comedy-Show droht, die letztlich nur so harmlos sein kann wie das Bild, das er mit seiner Gemahlin abgibt, Titel: Schröder und das Kind.

Was macht man nur, wenn man sich mit seinem penetranten Gewinnergrinsen unter die Fassadengesichter der Daily-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ eingereiht hat, und nun wird aus dem Joke bitterer Ernst? Denn es sind schlechte Zeiten für eine Partei, die von ihrer gewohnten Sozialpolitik auf eine ihr völlig fremde Gesellschaftspolitik umstellen muss, die einen Staat regieren soll, dem das Geld, und die eine Gesellschaft organisieren soll, der die Arbeit ausgegangen ist. Da ist bei Wahlen tatsächlich wenig zu holen. Stattdessen gibt es einiges Vertrauen zu verlieren. Und wenn schon die Politik nicht sonderlich vertrauenerweckend sein kann, dann sollte die Körperpolitik des Kanzlers dies kompensieren. Zuversicht, Souveränität, Charme, der Geduld einfordern darf und für lässliche Fehler Vergebung – das wäre die gebotene Mimik des Gesichts 2000, das Gerhard Schröder leider nicht besitzt. Und wenn es auch wenig Hoffnung für ihn gibt, wenigstens grinst er sich jetzt keinen mehr.