„Die Ansicht des Papstes ist mir nur schwer erklärlich“

■ Luzie Schüller, Konfliktberaterin bei Rat und Hilfe (Caritas) in Aachen, über die Direktive aus Rom und katholische Beratung in der Praxis

taz: Der Theologe Hans Küng sagt: Die Kirche ist autoritätsfixiert. Sie bekommen das jetzt hart zu spüren.

Luzie Schüller: Ich bin nicht ganz einer Meinung mit Hans Küng, er verallgemeinert sehr stark. Aber in diesem Fall würde ich mir wünschen, dass Ortskirchen mehr Entscheidungsfreiheit hätten. Ich bin sehr besorgt, denn die Perspektiven sind noch schwieriger geworden.

Warum nicht in mehr Fällen?

Wir haben auch eine weltkirchliche Verantwortung, die Einheit der Kirche, die der Papst garantiert, ist da ein hohes Gut. Aber bei unserer Konfliktberatung ist mir die Ansicht des Papstes schwer erklärlich: Kein Land in Europa hat so ausgeprägte Lebensschutzgesetze. Andere Länder können dagegen locker mit Abtreibungen hantieren und haben gar keine Probleme mit Rom.

Kommen Frauen mit Schwangerschaftskonflikt in diesen Monaten des Streits noch genauso zahlreich in Ihre Beratung?

Ja, die Zahlen sind sogar gestiegen. Die Leute sind gut informiert, und wir werden weiterhin empfohlen. Es lohnt sich, zu uns zu gehen.

Warum?

Wir geben uns außergewöhnlich viel Mühe. Wir fragen: Wie müsste die Situation für die einzelne Frau aussehen, damit sie ja zu ihrem Kind sagen kann? Wir bieten mehrere Gespräche an und beziehen auf Wunsch der Frauen auch den Partner oder den Arbeitgeber mit ein. Wir versuchen tatsächlich, langfristig das persönliche Umfeld abzusichern.

Nun kommen ja die meisten Frauen eher in die Beratung, weil sie sich ein Leben mit Kind im Moment nicht vorstellen können.

Der Regelfall ist, dass sie sich mit Abbruchsabsichten melden. Aber dann muss man die Ambivalenzen und heimlichen Hoffnungen ausloten. Es ist unterschiedlich, wie bestimmend die sind.

Wer aber seine Entscheidung schon getroffen hat, kann nach den katholischen Richtlinien keine Informationen über Abtreibung bekommen. Ist das nicht eine Einschränkung der „umfassenden Beratung“, die das Gesetz fordert?

Über Vieles sind die Frauen schon vom Arzt informiert worden. Aber wir wollen, dass die Frau tatsächlich erst mal darüber nachdenken kann, ob sie sich nicht doch ein Leben mit Kind vorstellen kann. Das würden wir ad absurdum führen, wenn wir es mit der Organisation der Abtreibung verbinden würden.

Sie stellen das ungeborene Leben ins Zentrum. Das könnte Frauen, die keine Möglichkeit sehen, das Kind auszutragen, noch stärker in den Konflikt hineintreiben. Ist das eine Gefahr?

Das muss ich zurückweisen! Es widerspräche jeder Professionalität einer Beratung. Wir haben natürlich eine Supervision, damit wir den Klientinnen nicht die eigene Lebensschutzhaltung überstülpen.

Wie rechtfertigen Sie persönlich vor sich, dass Sie damit ja auch Abtreibungen akzeptieren?

Ich tue alles dafür, der Frau zu helfen, das Leben ihres Kindes zu schützen. Für mich hat das Leben eines ungeborenen Kindes so viel Wert, dass ich niemals abtreiben würde. Aber das hindert mich nicht, zu spüren, dass manche Klientinnen das nicht schaffen. Sie können diese Entscheidung höchstpersönlich treffen.

Für Sie gibt es also keine Rechtfertigung für eine Abtreibung?

Es gibt immer subjektive Rechtfertigungen. Manches verstehe ich besser und manches schlechter. Es gibt unendlich tragische Situationen, oder es gibt auch erkennbar sehr egoistische Motive. Es ist nicht die Rolle der Beraterin, das zu bewerten.

Ist das nicht eine Illusion? Man bemerkt doch Ihre Überzeugung.

Professionell ist, die Achtung der Entscheidung spürbar zu machen, auch wenn das nicht in allen Fällen meiner persönlichen Meinung entspricht.

Was würden Sie Ihrem Bischof raten: eine saubere Lösung, also den Ausstieg, oder den Konflikt mit Rom?

Wir werden uns am Dienstag mit unserem Bischof Mussighoff treffen und dann beraten, wie es weitergehen soll. Ich kann mir vorstellen, dass auch er noch einmal mit dem Papst sprechen will.

Würden Sie auch die Beratung durch Laien mit organisieren?

Das müssen wir uns erst einmal genau ansehen. Es würde jedenfalls schwer zu vermitteln sein, wenn Frauen zu zwei verschiedenen Beratungen gehen sollten.

Interview: Heide Oestreich