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: Die Rache der Opfer? Von Joanna Wiorkiewicz

Nach dem Muster, das uns Hollywood seit Generationen vermittelt, war die Rollenverteilung auf der Kriegsbühne des Balkans noch vor kurzem ganz logisch: Die Opfer waren die Guten, die Täter waren die Bösen, und Gerechtigkeit sollten edelmütige Ritter aus ihren silbernen Flugzeugen säen.

Jetzt aber ist alles umgekehrt: Jetzt sind die Opfer die Täter. Die Kosovaren rauben, stehlen und verbrennen das Eigentum ihrer bisherigen serbischen Nachbarn. Die Berichte der Reporter lassen keine Zweifel zu. Das Theater geht weiter. Im zweiten Akt sind die Rollen leicht vertauscht und wir schauen verständnislos zu. Was empfinden wir? Was denken wir über die Serben, über die Albaner, über alle, die dort vor Ort die Reifeprüfung in Menschlichkeit bestehen oder auch nicht.

Hier in Berlin, im weichen Sessel, mit einem Glas Rotwein in der Hand, urteilen wir hart. Wir dachten, dass sich mit dem erzwungenen diplomatischen Frieden auch der Frieden in balkanischen Herzen sanft entfalten lässt. Außerdem hat uns unsere christliche Kultur gelehrt, dass Leiden veredelt. Schließlich wurden fast alle Heiligen gefoltert. Liebe deine Feinde! – sagt uns die Bibel. Die Kosovaren kennen diesen Satz nicht – die meisten sind Muslime.

Diese Tatsache erklärt uns jedoch nicht, warum sie jetzt ihre serbischen Nachbarn nicht respektieren. Andererseits, die Serben haben der ganzen Welt zur Genüge bewiesen, dass ihnen die christliche Nächstenliebe eine Last ist. [So'n Scheiß kommt halt dabei raus, wenn alles „die“ Serben und „die“ Albaner sind. d. sin.] Also spielen moralische Werte während des Krieges, trotz der angeblich religiösen Gründe, gar keine Rolle. Noch weniger als nach dem Krieg. [Ist ja 'ne wahnsinnig neue Erkenntnis! d. sin.]

Kriege sind wie Überschwemmungen – Katastrophen und bringen Schlamm, Zerstörung und Verwüstung mit sich. Sowohl auf der Erde wie in den menschlichen Seelen. Es wurde gerade geschätzt, dass der Wiederaufbau im Kosovo und in Serbien mindestens 100 Milliarden Mark kosten soll. Leider ist es nicht möglich einzuschätzen, wie viel der Wiederaufbau der moralischen Werte kosten wird. Und wer soll das machen? Geistliche? Aber es geht doch nicht um Religion. Intellektuelle? Wer will sie noch hören? Autoritäten? Es gibt keine. Die Nato? Zweifelsohne wird die Macht der Maschinenpistolen die Regeln im Kosovo noch lange festigen und die Albaner und Serben zum gegenseitigen Respekt zwingen. Maschinenpistolen haben keine Moral. [Das wäre nicht allzu tragisch, wenn diejenigen, die sie mit sich rumschleppen, wenigstens eine hätten! d. sin.]

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