Ohne Ansehen der Person

■  Wie kommt man nach oben, Herr Schrempp? Wann wurde aus einer braven Katholikin Madonna? Das neue Hochglanzmagazin „Biografie“ stellt uns die Großen dieser Welt vor

Kate Moss ist erst fünfunzwanzig und hat doch schon zwei Leben hinter sich. Mit fünfzehn wurde das Londoner Arbeiterkind zufällig in einem Flugzeug entdeckt und machte als Calvin-Klein-Modell international Karriere. Als sie sich dann unlängst öffentlich zu einer Entziehungskur bekannte, kippte das Cinderella-Märchen in ein tristes Drogendrama. Jetzt haben Kate Moss und ihre Biografen wieder alles vor sich. Journalisten mögen solche existenziellen Brüche; sie sind der Stoff, aus dem ihre Porträts gemacht sind.

Gruner+Jahr hat nun einen Ableger der populärwissenschaftlichen Zeitschrift P.M. aufgelegt, der sich ausschließlich mit dem Genre Porträt beschäftigt. Biografie heißt das 148 Seiten starke Magazin, und in der ersten Ausgabe werden neben Kate Moss unter anderem die Schicksale von Madonna und Vincent van Gogh, Saddam Hussein, Kati Witt, Cleopatra und Jürgen Schrempp bearbeitet. Eine illustre Runde, quer durch die Jahrhunderte – und von höchst unterschiedlicher Bedeutung für die Weltgeschichte.

Geschichte über diejenigen zu erklären, die sie gemacht haben, ist freilich ein ganz anderer Anspruch, als beispielsweise den Erfolg der Popikone Madonna zu beschreiben. Gemeinsam ist beiden Herangehensweisen aber, dass sie sich das Recht herausnehmen, Deutungen zu produzieren, die über das banale Nacherzählen des Lebenslaufes hinausreichen.

Nur: Wie deutet man Cleopatra? Notwendigerweise kann ein Biograf das Wirken der ägyptischen Königin, den Wahnsinn von Vincent van Gogh oder die Liebeswallungen von Hitlers Geliebten Eva Braun nur aus den Geschichtsbüchern zusammensetzen. „Kalt geschrieben“ nennt man in der Journalistensprache solche Porträts, die ohne ein persönliches Treffen mit dem Porträtierten auskommen müssen. Was früher allein den Toten vorbehalten war, geht längst auch mit Zeitgenossen. Im Zeitalter der elektronischen Archive kann fast jeder jeden Prominenten ohne Ansehen der Person, also „kalt“ porträtieren. Das zahllose, unentwegt zirkulierende Material aus Fernsehen, Zeitschriften, Internet lässt sich immer wieder anders anordnen – so lange, bis aus den alten Bildern ein weiteres, neues entstanden ist.

Manchmal gelingt nicht einmal das. Rüdiger Dillo, Autor des Porträts über den iranischen Dikator Saddam Hussein, kann natürlich nicht wirklich die plakativ gestellte Frage der Titelseite beantworten: „Wovor fürchtet sich dieser Mann?“ In Saddams gleichgeschaltetem Staat wird selbst die kalt geschriebene Geschichte zu einem journalistischen Wagnis. „Manche sagen ...“ oder „der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen ist schwer zu überprüfen ...“ formuliert Dillo vorsichtig. Wo es nur Propaganda und Gegenpropaganda gibt, muss alles beim enttäuschenden Hörensagen bleiben.

Wie leicht hat es da Evelyn Holst mit Madonna Ciccone! Über Madonna will ohnehin niemand wissen, was sie insgeheim denkt und fühlt. Die Popikone entsteht schließlich erst durch ihre hundertfache Reproduktion in den Medien. Auch zeichnet sich in ihrem konsequent durchgestylten Lebenslauf kein düsteres Drama ab wie bei Kate Moss oder gar eine dämonische Sympathie für den Teufel wie bei Eva Braun.

Das strenge Konzept von Biografie, alles Berichtenswerte über ein Gesicht zu erzählen, ist dem Personality-Kult des Medienzeitalters geschuldet. Kein Wunder also, dass die durchweg namhaften Autoren gerade die Popgrößen am besten in den Griff kriegen. Auch passen diese Texte zu der reich bebilderten Hochglanz-Anmutung des Magazins. Wird aber diese selbstreferentielle Stilistik auch auf die politischen Monster und sonstigen Helden dieses Jahrtausends angelegt, nivelliert das dann doch etliche Bedeutungsunterschiede. Aber womöglich war das ja beabsichtigt.

Für das nächste Heft werden folgende Popstars annonciert: Michael Jackson, Cindy Crawford, Romy Schneider, Thomas Gottschalk, Hillary Clinton, Muammar al-Gaddafi, Pu-Yi, Hannibal, Rasputin ... Klaudia Brunst