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Jetzt hört der Spaß aber auf

Stephan Schreck ist 21 Jahre alt und eine der größten deutschen Radsporthoffnungen. Talente wie ihn will Telekom aufbauen, um dem Boom eine Zukunft zu sichern  ■   Von Markus Völker

Vater und Sohn sitzen sich gegenüber. Wolfgang Schreck spricht über Stephan Schreck. Besser: Er sitzt über ihn zu Gericht. Der ehemalige Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer beginnt die Verhandlung mit der Frage: „Wie in aller Welt würden Sie mit einem Radrennfahrer umgehen, der noch nichts geleistet hat, aber trotzdem wird schon eine Riesenwolke aufgewirbelt?“ Der Reporter antwortet. Stephan, der Jungprofi, schaut etwas betreten drein. Er schwitzt. Tropfen kullern über die Wange. Eben noch hat er 230 Kilometer im Thüringer Wald abgespult, jetzt fährt er zu Hause in Erfurt eine Nachetappe, wie er sagt, obwohl er zum Gespräch am Tisch sitzt. Das mache er immer so; seine Kumpels vom Rennstall Köstritzer, die ihn Schreckus nennen, lästern dann: bei der Arbeit frieren, beim Essen schwitzen – das seien die Gesündesten.

Papa Wolfgang verliest weiterhin die Anklageschrift: „Er hat nur eine Unterschrift geleistet, mehr nicht. Rennfahrer, die jahrelang ihre Arbeit machen, sind noch dreimal besser als er, und die kriegen weniger Aufmerksamkeit!“ Der Sohn versucht es mit einem vorsichtigen „Aber“. Da sei doch was gewesen in dieser Saison: Sieg bei der Thüringen-Rundfahrt und beim U 23-Rennen „Rund um den Henniger Turm“. Außerdem stehe er in der U 23-Weltrangliste an fünfter Stelle. Mit Hoffnungen fährt er deshalb zur U 23-WM nach Treviso. Vor allem für das Zeitfahren kommenden Montag rechnet er sich Chancen aus. Die Thüringer Allgemeine hält Schreck gar für das „vielversprechendste Nachwuchstalent im deutschen Radsport“. Na gut, sagt der Vater, aber bis jetzt war das Spaß, nun fange die Arbeit an.

Verdammt harte Arbeit. Strampeln für das Team Telekom steht im neuen Jahrtausend an. Stephan Schreck (21) ist nur einer von mehreren Talenten, die Telekom mit Blick auf die Zukunft verpflichtet hat. Der ehemalige Profi Mario Kummer wurde engagiert, die Novizen das Fahren in vorderster Linie zu lehren. Die haben das Zeug dazu, prophezeit er. Kummer hält Schreck für einen, der über das Dasein eines Helfers hinauskommen kann. „Er kann ein guter Pedaleur werden, er hat Biss und richtig viel Talent.“ Schreck stand immer mit Kummer in Verbindung, als er sich zwischen einem Angebot des italienischen Rennstalls Saeco und dem Telekoms zu entscheiden hatte. Organisation, Logistik und die fehlende Sprachbarriere hätten für die Fernmelder gesprochen, sagt Kummer.

Vor drei Jahren wurde vom Radsportweltverband UCI die Trennung von Amateuren und Profis aufgehoben. Der Amateurstatus wurde den Fahrern unter 23 Jahren zugewiesen. Schreck weiß trotzdem genau, wie es bei den Profis zugeht. Beim ersten Aufeinandertreffen sei er richtig erschrocken, so schnell wurden die letzten Kilometer gefahren. Er war kontinuierliches Tempo vom Start bis ins Ziel gewohnt. „Bei den Profis musst du den Lenker ziemlich fest halten“, sagt er. Schreck erinnert im Fahrstil an Frank Vandenbroucke. Wie der Belgier sieht er seine Chancen bei den Frühjahrsklassikern. Paris – Roubaix wäre so ein Traum. Vielleicht auch eine Bergetappe bei der Tour. Aber dafür isst er noch zu gern Schokolade. Zwei bis drei Kilo müssten weg. Bisher schaut er sich die großen Etappen noch am Fernseher an – und schläft dabei ein. Bei einer Live-Übertragung könne man so gut relaxen vom schweren Training. Spätestens zum Finale werde er dann aber schon wieder wach.

Hellhörig wird Schreck auch beim Thema Doping. Wie ein alter Hase raunzt er: „Bei einer Erkältung kann ich mir nur ein Ricola reinziehen, alles andere steht doch auf der Liste.“ Seine Blutwerte könne man einsehen im Erfurter Klinikum. „Sicher würden einige sagen, da sind Schwankungen drin“, überlegt er. „Aber ich bin uneingeschränkt für häufig durchgeführte Blutkontrollen.“ Vater Schreck verbucht diese Aussage zu Gunsten des Angeklagten.

Überhaupt stehen die Zeichen auf Freispruch. Mit Auflagen allerdings. So wie bei seiner Lehrzeit zum Industriekaufmann soll sich der Sohn beim neuen Arbeitgeber hintan stellen, ins dritte Glied. „So weiß er ganz schnell, was Realität ist.“ Zudem: In absehbarer Zeit wird sein Zimmer im Hotel Mama in Salomonsborn bei Erfurt gekündigt. „Eine ganz normale Reaktion, dass sich Kinder abnabeln müssen.“ Die Aussicht lässt den Papa dann doch schmunzeln. Auch weil er dadurch vom Kasten Köstritzer Schwarzbier, den ihm der Ex-Sponsor nach wie vor in den Keller stellt, weniger abgeben muss. Und ein ISDN-Anschluss der Telekom kommt nun vielleicht auch ins Haus.

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