Durch dick und dünn

■  Sieben Jahre lang hat die Fotografin Herlinde Koelbl drei Politiker beobachtet: „Spuren der Macht – Der Verwandlung des Menschen durch das Amt“ (23 Uhr, ARD)

Die Fotokamera schafft intime Augenblicke: Sie verlangt einen intensiven Blickkontakt, und ist immer auch die schmeichelhafte Aufforderung zu ungeschminkter Eitelkeit. Nie aber zeigt sie ihr dahinterliegendes investigatives Interesse. Herlinde Koelbl präsentiert sich ihrem Gegenüber zunächst nur als Fotografin. Es könnte also gut sein, dass die beiden Medienstrategen Gerhard Schröder und Joschka Fischer Koelbls professionelle Neugier deshalb zunächst unterschätzten und ihre kleine Videokamera nicht ernst genug nahmen. Vielleicht half aber auch nur das fromme Versprechen, die Interviews erst in sieben, acht Jahren, also ein Politikerleben später, zu veröffentlichen. So beantworten Schröder und Fischer Herlinde Koelbls ungenierte, zuweilen geradezu schlichte Fragen nach Glück und Erfolg, persönlichen und politischen Niederlagen zunächst erstaunlich offen und unverkrampft. Auch die bayrische SPD-Politikerin Renate Schmidt ist ziemlich locker, aber Frauen untereinander pflegen ja ohnehin einen persönlicheren Gesprächsstil.

Seit 1991 begleitete Herlinde Koelbl 15 Mächtige aus Politik und Wirtschaft mit ihrer Fotokamera, um die „Spuren der Macht“ in ihren Gesichtern festzuhalten. Seit 1992 ließ sie bei den jährlichen Treffen auch ein Videoband mitlaufen. Aus diesem Material ist nun neben einem dicken Fotoband und einer sehenswerten Ausstellung auch diese eindrückliche WDR-Dokumentation entstanden. Die Künstlerin hat sich hier selbst zu einer strengen Ordnung verpflichtet. Einmal im Jahr stellt sie ihre Gesprächspartner vor eine weiße Wand und bildet sie ab. Anschließend unterhält sie sich – scheinbar harmlos – über den Fortgang des Lebens. Mit ihrem ruhigen Rhythmus und ihrer Konzentration auf Gespräch und Fotoporträts (kein Bildmaterial aus ARD-Archiven belegt oder konterkariert die Selbstzeugnisse) legt diese Arbeit politische wie private Höhen und Tiefen der drei Politiker Schröder, Fischer und Schmidt erstaunlich beredt offen.

Joschka Fischer kann natürlich am besten über sich selbst reden, da hilft ihm wohl die harte Schule linksalternativer Sozialisation. Zudem hat er die augenfälligste Metamorphose durchlaufen. Mit dem Grünen ging Herlinde Koelbl buchstäblich durch dick und dünn: Fischers Ehe ging zu Bruch, Träume von einem politischen Wechsel enden 1994 in einer Niederlage. Zwei Jahre später trifft sie auf einen ganz anderen, viel dünnhäutigeren Menschen. Aber neben den abgespeckten 28 Kilo Übergewicht zeigt Koelbl noch einen anderen Verlust: den der Jugend. 1992 hatte sich Fischer noch als politischer Heißsporn präsentiert, am Ende sitzt der ergraute Außenminister im Maßanzug vor ihr und lobt mit wohlgesetzten Worten die Erfindung des Protokolls.

Alle drei Politiker haben in den sieben Jahren ihre privaten Beziehungen gewechselt. Auch Renate Schmidt kostete das politische Amt eine Ehe und viel Enthusiasmus. 1996, auf dem Tiefpunkt ihrer Karriere, zeigt Herlinde Koelbl die bayrische Oppositionsführerin mitleidlos mit abgekämpftem Gesicht. Müde spricht Schmidt von ihrer Sisyphusarbeit, deren Sinn sie zuweilen selbst nicht mehr erkennen kann. Überhaupt ist Orientierung und Orientierungslosigkeit ein geheimes Thema des Films.

So viel Radikalität und Selbstzweifel, wie Renate Schmidt sie preisgibt, würde sich der Pragmatiker Schröder nie zugestehen. „Ich muss mir die Fähigkeit erhalten zu verdrängen“, hatte er Herlinde Koelbl ganz zu Anfang grinsend erklärt. Mit den Jahren wird ihm nun gewahr, dass Koelbls langer Atem dieser perfekten Verdrängung entgegensteht. Ja, damals in Niedersachsen, als er noch ein ehrgeiziger Ministerpräsident war, da hatte er die kleine Kamera durchaus als narzistische Spiegelung genossen. Nun, nach seinem medialen Popularitätsschub, wird das elektronische Gedächtnis unversehens zu einer Bedrohung. Also macht der Medienkanzler beim letzten Treffen geradezu panisch die Schotten dicht – und erzählt mit seinem finalen „Dazu sage ich nix“, das die mehrjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit völlig ignoriert (verdrängt!), viel mehr über sich als die anderen mit tausend Worten. Klaudia Brunst