: Captain Kirk der Saar
Heute wird CDU-Mann Peter Müller als Ministerpräsident des Saarlandes vereidigt. Die SPD trauert ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Saarbrücken (taz) – Wenn der „schwarze Peter“ Müller von der Union heute im saarländischen Landtag als Ministerpräsident vereidigt wird, geht das sozialdemokratische Zeitalter an der Saar endgültig zu Ende. Ein Name steht für diese Ära: Oskar Lafontaine, Enfant terrible nicht nur der saarländischen SPD – und aktuell Querulant. Knapp vierzehn Jahre stand er an der Spitze des kleinsten – und ärmsten – Flächenlandes (West) der Republik. Lafontaines Nachfolger im Amt, Reinhard Klimmt, führte die SPD dann bei den Landtagswahlen am 5. September in die bis dahin bitterste Niederlage ihrer Geschichte. Klimmt fiel tief, um hoch aufzusteigen: Seit zwei Wochen ist er der designierte Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland.
Jetzt also der „Querkopp“ von der Union, der „junge Wilde“, der das am Tropf der reichen Bundesländer hängende Saarland zum „Aufsteigerland“ avancieren lassen will. Müller (44) hat wieder einmal alle überrascht – mit einem unkonventionell zusammengestellten Kabinett der Experten.
Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) des Saarlandes, Hanspeter Georgi (57), wird Wirtschaftsminister; Regine Görner (49) aus dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird das Sozialministerium führen. Stefan Mörsdorf (38), Geologe, Geograph und Botaniker und seit 1989 Landesvorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu), soll das Umweltministerium leiten – allerdings ohne die Abteilungen Verkehr und Energie, die dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen wurden. Mörsdorf gehört übrigens nicht der CDU an.
Die Frauenbeauftragte der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit, die Richterin Ingeborg Spoerhase-Eiseleine, übernimmt das Justizministerium. Das wollte Müller als Ministerpräsident eigentlich in Personalunion verwalten, um ein „Spar-Kabinett“ mit nur sechs Ministerien präsentieren zu können. Innerparteilicher Streit darüber und verfassungsrechtliche Bedenken zwangen den „saarländischen Captain Kirk“, der sein „Ufo“ dennoch exzellent besetzt habe, so die Saarbrücker Zeitung euphorisch, allerdings zum Rückzug.
Und weil Müller neben den Experten auch verdiente Parteifreunde – die „vier verdammte Legislaturperioden lang“, so ein älterer Christdemokrat in der Wahlnacht, auf den „Run“ an die Fleischtöpfe warten mussten – in die Regierung einbinden wollte (oder musste), ist sein Kabinett mit sieben Ministern und zehn Staatssekretären größer geworden als es das von Klimmt war. Sparziel knapp verfehlt.
Keine Überraschung bei der Besetzung der anderen Ministerien: Der saarländische Bundestagsabgeordnete der Union, Peter Jacoby (48), ein Freund von Müller, wird Finanzminister; der Bürgermeister von Quierschied und Vizepräsident des 1. FC Saarbrücken, Klaus Meiser (44), Innenminister. Klaus Bouillon, Müllers Wunschkandidat für diese Position, verzichtete nicht ganz freiwillig auf seine – voreilige – Berufung. Gegen den Bürgermeister von St. Wendel läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Es geht um undurchsichtige (Privat-) Geschäfte. Bouillon: die erste Niederlage des selbst ernannten „Berufsoptimisten“ Peter Müller nach dem überraschenden Wahlsieg. Fehlt noch der „Schulmeister“, wie er sich gerne nennen lässt: Kultusminister Jürgen Schreier (51) war von 1977 bis 1982 persönlicher Referent des damaligen CDU-Kultusministers und danach Leiter der Kreisrealschule Merzig. Auch ein „Experte“, sagt Müller.
Zwei „kleine Stabsstellen“ hat Müller zusätzlich eingerichtet. „Think-Trusts“ sollen das sein, angebunden an die Staatskanzlei. Der eine für Technologie wird von dem Hochschullehrer August-Wilhelm Scheer geleitet; der andere für „Kultur und Europa“ von Michel Friedmann, Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland. Friedmann macht den Job; trotz öffentlich geäußertem „Unmut“ über antisemitische Äußerungen eines Landtagsabgeordneten der Union bei seiner Vorstellung in der Fraktion. Den Namen des Abgeordneten wollte Friedmann allerdings nicht nennen. Und auch nicht den genauen Wortlaut der Diffamierung preisgeben. Für Müller alles kein Problem. Die Fraktion habe Friedmann schließlich widerspruchslos akzeptiert. Und deshalb sei es „absurd“, über Antisemitismus in der Saar-CDU auch nur zu diskutieren.
Müller also unkonventionell. Und weiter angriffslustig. Die Sozialministerin vom DGB, der Umweltminister vom Nabu: Nackenschläge für SPD und Grüne. Unter den Ministern der sozialdemokratischen Landesregierungen war nie ein Gewerkschaftsfunktionär. Die Gewerkschaften an der Saar, die den von der CDU angekündigten radikalen Strukturwandel vor der Wahl ablehnten, haben Müller und seiner Sozialministerin Görner bereits vorbehaltlos die „Zusammenarbeit“ angeboten und einen moderaten Forderungskatalog vorgelegt. Müllers erste – politische – Ankündigung stieß bei den Gewerkschaften, insbesondere bei der IG Medien, auf breite Zustimmung. Der CDU-Mann will das unikate saarländische Presserecht wieder an „bundesrepublikanische Verhältnisse“ angleichen.
Die Gewerkschaften hat Müller auf seiner Seite
Nachdem sich die Medien 1995/96 wohl allzu intim mit der sogenannten Rotlicht-Affäre beschäftigt hatten, in die auch der damalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine verwickelt war, knebelte der Landtag mit seiner SPD-Mehrheit – auf Druck von Lafonatine hin – per Gesetz die Presse. Der Unionist Müller stellt jetzt die Pressefreiheit wieder uneingeschränkt her. Sein Programm für die neue Legislaturperiode will er Ende Oktober in einer Regierungserklärung vorstellen.
Und was macht die geschlagene SPD? Die Sozialdemokraten an der Saar lecken ihre Wunden und reiben sich noch immer verwundert die feuchten Augen: „Ihr“ Reinhard Klimmt, Großkritiker der Schröderschen Politik, hat sich schließlich vom Kanzler einkaufen lassen und wird demnächst in die Kabinettsdisziplin eingebunden sein.
Immerhin hat sich die Landtagsfraktion am Riemen gerissen und den neuen „Hoffnungsträger“ der Saar-SPD, Heiko Maas (33) – unter Klimmt Umweltminister des Landes –, zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Es gibt Genossen, die glauben, dass Maas „das Zeug zum Bundeskanzler“ habe.
Schon wieder ein roter Saarländer mit deutschlandpolitischen Ambitionen? Der junge Sozialdemokrat jedenfalls setzte erst einmal ein deutliches Zeichen der Abgrenzung zu „Oskar“: Er verzichtete auf 90.000 Mark Übergangsgeld, die ihm als Ex-Minister zugestanden hätten.
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