Querspalte

■ Im Lafo-Fieber

Plötzlich ist Herbst. Während man über Friedhöfe geht und sich dabei wie ein aufgeräumter Rentier fühlt, denkt man ein wenig wehmütig daran, wie doch die Zeit vergeht. Längst vergessen sind IFA und Sofi und ob zwei Wochen nach der Buchmesse noch jemand weiß, was Lafo ist, darf bezweifelt werden. 10 Sekunden des Ruhms, während der er auf seiner Flachdachterrasse stand, ein blondes Kindchen im Arm und ganz entspannt sagte, er wolle nun mal nur Mensch sein. So hatte er noch einmal sehr schön ursprungsgrün, spontanistische Lebensstilpräferenzen aktualisiert, während die Grünen längst zu ziellosen Workaholics mutiert waren und ihm nun – nach seinem Welt-Interview, kriegserfahren „Fahnenflucht“, Dolchstöße und derlei vorwerfen. Absurd.

„Ich denke, er hat es in erster Linie auch deshalb gemacht, weil er Kohle dafür kriegt“, bemerkte kritisch der niedersächsische Ministerpräsident Glogowski. Die Schlagzeile im Tagesspiegel las sich noch Comic-hafter: „SPD-Spitzen gegen Lafontaine: Er hat es auch für Kohle gemacht.“ Fast so gut wie Schröder, der mal bei Daimler-Benz betonte, er sei „Kanzler aller Autos“.

Und ich dachte an den seltsamen Mann, der letztes Jahr vor der Wahl als Einzelkämpferoriginal wochenlang durch die Berliner U-Bahnen zog und in langen Vorträgen die damals herrschenden Politiker kritisiert hatte. Er verabschiedete sich immer damit, dass er Daumen und zwei Finger geldzählerisch aneinander rieb, um einen daran zu erinnern, dass es denen doch immer nur um das Eine gehe und dass man deshalb SPD wählen solle. Das war ein guter Mann; Glogo nicht, obgleich ich es auch viel schöner gefunden hätte, wenn sich Lafo inzwischen einer unkonventionellen Religionsgemeinschaft angeschlossen und darüber nun berichtet hätte. Detlef Kuhlbrodt