Erst mal das Probieren versuchen

Angemessen ratlos gibt sich Bayern München nach dem 1:1 gegen den FC Valencia. Nur Rudolf Scharping weiß Bescheid und hilft mit 2.000 Soldaten  ■   Aus München Thomas Becker

Eine Erscheinung: Franz Beckenbauer eilt im schlammfarbenen Trenchcoat auf seinen Tribünenplatz. Ein paar Schritte sind das nur vom VIP-Bereich bis zur angestammten Sitzschale, doch gewöhnlich braucht der Präsident des FC Bayern München mehrere Minuten dafür. Dutzende Journalisten und andere neugierige Menschen stellen sich ihm in den Weg: „Wie haben Sie das Spiel gesehen, Herr Beckenbauer?“ Oder: „Sind Sie zufrieden mit der Leistung Ihrer Mannschaft, Herr Beckenbauer?“ Nichts davon bei der Partie gegen FC Valencia, immerhin Champions League, Topspiel der Gruppe F, Erster gegen Zweiter: Keiner will was vom Kaiser wissen. Gänzlich unbehelligt marschiert er zu seinem Platz. Was hätte er auch sagen sollen zu diesem Trauerspiel?

1:1 gegen den mediokren Tabellenletzten der spanischen Liga, und das am Ende noch mit viel Glück – der FCB steckt in der Krise. Nur gut, dass Verteidigungsminister Rudolf Scharping ein paar Schalen neben Beckenbauer saß und hinterher Trost spenden konnte. „Es gibt sicher auch mal wieder ein gutes Spiel.“ Immer schön positiv denken. Fußballfachverstand bewies der Bundesradfahrer dann auch noch: „Es kann immer ein 1:1 geben, wenn's 1:0 steht.“ Aber er hatte auch Brauch- und Zählbares mitgebracht: 2.000 Soldaten der deutschen KFOR-Truppe für den Kosovo. Die hatten ausnahmsweise nicht den Auftrag, zu befrieden, sondern sollten mal so richtig Rabatz machen. Auf der Wies'n hatte Scharping Präsident Beckenbauer so lange beackert, bis der die Freikarten rausrückte. Im dekorativen Zartgrau der Ausgehuniform zierten die Bundeswehrler die ansonsten den Gästefans vorbehaltene Nordkurve.

31.000 sollen im Olympiastadion gewesen sein – so nähert sich der FCB allmählich den Dimensionen des lokalen Konkurrenten TSV 1860 München an. Auch spielerisch ist der Unterschied zu Lorants Rustikalensemble nicht mehr gravierend. Gegen die dank flinker Stürmer stets gefährlichen Spanier dürfte Keeper Oliver Kahn der einzige gewesen sein, der wirklich geschwitzt hat. Linke und Kuffour transpirierten vielleicht auch noch, aber mehr aus Angst vor dem nächsten Dribbling des wendigen Claudio Lopez, den sie piojo, die Laus, nennen. In schöner Regelmäßigkeit verwirrte er mit seinen Haken, Körpertäuschungen und ansatzlosen Torschüssen die Hintermannschaft der Bayern. 21 Tore schoss der 25-Jährige in der vergangenen Spielzeit, diesmal legte er per Kopf eines auf. Es war kurz vor halb elf, als Lopez Segu Gerard eine schlimme Serie beendete: Mit einem Flugkopfball traf er aus kurzer Distanz ins Münchner Tor und erzielte somit den ersten Treffer des FC Valencia in Deutschland nach 19 Jahren.

Und es hätte durchaus noch einer dazu kommen können. In der letzten Spielminute rannte Lopez mit dem Ball am Fuß allein auf Kahn zu. Doch der Schiedsrichter hatte schon abgepfiffen, genau in dem Moment, als Lopez per Steilpass Richtung Sieg geschickt wurde - eine kuriose Entscheidung. Wie auch in der 73. Minute, als der eingewechselte Jancker eine der wenigen sehenswerten Kombinationen erfolgreich abschloss - angeblich aus Abseitsposition. Eine Fehlentscheidung, aber verdient wäre der Sieg sowieso nicht gewesen. Schon den Führungstreffer verdankte man Valencias Ersatztorwart Palop, der einen Fernschuss Salihamidzics amateurhaft nach vorne abklatschte, wo Elber zum 1:0 abstaubte. Danach schoss nur noch Tarnat einmal ernsthaft aufs Tor, zwar mit viel Schwung, aber gegen den Pfosten. Bezeichnend für das Offensivspiel war der pomadige Auftritt des „besten Mittelfeldspielers der Welt“ (Hitzfeld), Stefan Effenberg, der an diesem lauen Abend nur die Kapitänsbindenbürde spazieren trug und folgerichtig von den eigenen Fans ausgepfiffen wurde. Wie sagte Uli Hoeneß nach dem Spiel: „Der Ballführende ist bei uns zur Zeit ein armes Schwein.“

Überhaupt diese Interviews nach der Partie. Uli Hoeneß ist gereizt bis in die Stirnfalte, Mehmet Scholl gelangweilt von den immer gleichen Fragen nach der Belastung, und Kahn will vor der Kamera so ruhig wirken, dass man fürchten muss, dass er zu Hause erst mal die halbe Wohnung demoliert vor lauter Frust. Was man gegen die Krise tun könne, will einer von ihm wissen. „Irgendwann mal wieder gewinnen“, sagt Kahn dann tatsächlich, „und das versuchen wir zu probieren.“ Dann doch lieber wieder Beckenbauer.

FC Bayern München: Kahn - Matthäus - Kuffour, Linke - Salihamidzic, Jeremies, Effenberg, Tarnat - Zickler (46. Santa Cruz), Elber (62. Jancker), Scholl

FC Valencia: Palop - Angloma, Pellegrino, Björklund, Carboni - Mendieta (87. Angulo), Gerard, Albelda, Kily-Gonzales (84. Farinos) - Sanchez (63. Ilie), Claudio Lopez

Zuschauer: 31.000

Tore: 1:0 Elber (6.), 1:1 Gerard (80.)