Doppelter Einstand

■ Ab morgen kuppelt ein neues „Herzblatt“, für das alte schlägt die „Stunde der Wahrheit“ (Fr., 18.55 Uhr, ARD; 20.15 Uhr, Sat.1)

Ab morgen wird alles anders, nicht nur in der digitalen Premiere-Wunder-World. Auch im konventionellen Fernsehen feiern zwei Sternchen Einstände: Der 27-jährige Pierre Geisensetter tritt ein schweres Erbe an, wenn er erstmals als Kuppler bei „Herzblatt“ fungiert. Denn sein Vorgänger Christian Clerici war so erfolgreich, dass er jetzt bei Sat.1 die „Stunde der Wahrheit“ einläuten darf, eine neue Show zur Prime Time, die am selben Abend startet.

Ob die Familienshow so einschlägt, wie sich Clerici und der Kuschelsender das vorstellen, muss sich erst zeigen. „Herzblatt“ ist längst Kult. Die Uraltshow ist nämlich nichts als arrangierter Fake – und hat gerade deshalb ihre Fans, die sich königlich amüsieren, wenn sich wieder ein verheirateter „Single“ bei einer auswendig gelernten Antwort verhaspelt.

Die Fans können beruhigt sein: Auch nach dem Relaunch in der Sommerpause ist alles beim Alten, nur der Moderator ist neu – was man kaum merken würde, wäre Geisensetter nicht der „farbigste Herzblatt-Presenter“ (ARD-Presseinfo) aller Zeiten. Der Sohn eines Malinesen und einer Deutschen kommt aus Jena und genauso frisch, flott und gut gekleidet daher wie sein Vorgänger. Als Preise gibt es weiter nur Tagestrips, etwa „zum Kuhmelken nach Hintertupfing“ (so Kandidat Chris aus Tirol, schon mehrmals dabei).

Die einzig echten Kandidaten dieser Freitagvorabendprogrammfarce sind die Moderatoren. Für sie geht es wirklich um etwas: Wenn sie ihre Sache gut machen, winkt ein Karrierschub – siehe Christian Clerici. Wenn sie ihre Sache schlecht machen – wie Hera Lind –, verschwinden sie ganz schnell vom Bildschirm und dürfen im Gegensatz zu Chris aus Tirol nicht wiederkommen.

Aber Geisensetter hat gute Chancen, denn er passt sich dem Niveau der Sendung mühelos an: Kandidatin Kristina kündigt an, sie trage ein „Geheimnis um die Hüften“, das 66 cm lang sei und das sich später als Tattoo erweist. Dazu fällt Geisensetter ein: „66 cm! Da könnte man ja neidisch werden.“ Er hat kapiert, dass man als Moderatorenkandidat nicht wie Hera Lind bieder lächelnd daneben stehen darf. Nein, man muss die abgeschmackten Frivolitäten, die so gut ankommen, mitmachen. Dann darf man auf einen noch tolleren und noch besser bezahlten Job hoffen.Christian Clerici zum Beispiel hatte das Glück, eine Show mit einem durchaus erfolgversprechenden Konzept zu bekommen: Ist die „Stunde der Wahrheit“ doch eine Mischung aus „Wetten, dass ...?“ und „Nur die Liebe zählt“. Der smarte Österreicher besucht Familien in deren Wohnzimmern und stellt ihnen eine Aufgabe. Wenn ein Familienmitglied sie löst, bekommen alle einen Wunsch erfüllt. Mama Pongrass etwa muss ein Tischtuch herunterreißen, ohne dass etwas herunterfällt, und Papa Adeoye soll die Zahl Pi memorieren.

Soweit, so „Wetten, dass ...?“. Aber bei der „Stunde der Wahrheit“ lernt man die Familien auch von ihrer privaten Seite kennen. Mama oder Papa haben eine Woche Zeit, sich vorzubereiten. Clerici und die Zuschauer fiebern mit, denn während der Woche läuft die Videokamera und filmt den Papa beim Üben in der Badewanne.

Wenn im Studio die „Stunde der Wahrheit“ schlägt, schwitzt man schon deshalb mit den rührigen Kandidaten, weil man sie inzwischen kennt und ein bisschen liebt. Schaffen es Mama oder Papa, ihre Familie glücklich zu machen? Wenn ja, ist der Jubel groß und die mitgereisten Verwandten stürmen die Bühne. Schade nur, dass Moderator Clerici in diesem hoch emotionalen Moment plötzlich geschäftig wird und die Gratulanten wegschickt: „Lasst sie mal, es geht doch um die Preise!“ Bevor sich alle um den Hals fallen, sollen die Familien gefälligst erst mal ihre materiellen Wünsche vorführen – die rein zufällig immer von Ford, Peugeot und Flexa erfüllt werden. Trotzdem: Clericis neue Show hat alle Ingredienzen, ein Quotenrenner zu werden.

Neu ist allerdings nichts daran. Genauso wie „Herzblatt“ einst aus England kam, entdeckten die Macher das Konzept im – diesmal japanischen – Ausland und kupferten es ungeniert ab. Doch einen Unterschied gibt es zum Original: Dort dürfen nur die Paschas ran, bei uns auch die Mütter – und bewerben dürfen sich sogar Wohngemeinschaften. Lukas Wallraff