Indonesien übergibt Osttimor der UNO

Bundesregierung ist sich uneinig über Finanzierung der Hilfe. Kabinettsentscheidung über Sanitätskontingent verschoben. Bischof Belo: Osttimor braucht einen Marshallplan  ■   Von Sven Hansen

Berlin (taz) – Indonesien erlaubt der UNO in Osttimor ab sofort den Aufbau einer zivilen Verwaltung und tritt damit die Hoheit über die annektierte Inselhäfte praktisch ab. Die Führung in Jakarta habe grünes Licht gegeben, obwohl ein formeller Beschluss der „Beratenden Volksversammlung“ nicht vor November erwartet werde, sagte der Osttimor-Beauftragte des UN-Generalsekretärs, Jamsheed Marker, gestern in New York. „Wir können nicht warten. Die Indonesier haben sich einverstanden erklärt, dass wir mit den Vorbereitungen beginnen“, sagte er.

Die Einigung wurde zwischen UN-Generalsekretär Kofi Annan und den Außenministern Indonesiens und Portugals, Ali Alatas und Jaime Gama, im New Yorker UNO-Hauptquartier erzielt. Nähere Einzelheiten sollten gestern erörtert werden. Priorität sollen zunächst Wohnungen, Elektrizität und Wasserversorgung haben.

Indonesien gestatte laut Marker auch dem UN-Flüchtlingshilfswerk den Besuch der Flüchlingslager in Westtimor. Dorthin sind rund zweihunderttausend Osttimoresen geflohen. Laut Marker sollen die Flüchtlingen drei Wahlmöglichkeiten haben: die Rückkehr nach Osttimor, Verbleib in Westtimor oder Transfer in andere Regionen Indonesien.

US-Verteidigungsminister William Cohen forderte die Regierung in Jakarta zur Zusammenarbeit mit der UN-Schutztruppe für Osttimor und zum Ende der Gewalt gegen Flüchtlinge auf. Für den Fall mangelnder Kooperation Indonesiens drohte er im australischen Fernsehen mit diplomatischer Isolierung und Wirtschaftssanktionen.

Derweil plünderten in der Nähe der osttimoresischen Hauptstadt Dili hungernde Flüchtlinge erneut ein Lebensmittellager. Die UN beendeten gestern den Abwurf von Lebensmitteln aus der Luft. Stattdessen soll es jetzt von der multinationalen Schutztruppe (Interfet) geschütze Hilfskonvois geben. Am Dienstag hatte ein aus der Luft abgeworfenes Lebenmittelspaket bei Manatuto einem dreijährigen Jungen die Beine zerschmettert. Laut UN-Sprecherin Afia Ali verursachten die ungewohnt proteinhaltigen Kekse aus den Nahrungsmittelpaketen bei den Flüchtlingen Bauchschmerzen. Das UN-Welternährungsprogramm schätzt, dass demnächst 740.000 der 880.000 Osttimoresen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein werden.

Die Bundesregierung verschob gestern einen geplanten Kabinettsbeschluss zur Entsendung eines Sanitätskontingents im Rahmen der Interfet-Truppe um eine Woche. Das Kabinett ist sich uneinig, welches Ressort die Kosten tragen soll. Die Berliner Zeitung hatte zuvor berichtet, Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping plane die Sanitäter mit zwei Transall-Maschinen nach Osttimor zu schicken. Die Kosten des Einsatzes würden unter zehn Millionen Mark liegen. Scharpin lehnt jedoch die Übernahme der Kosten aus seinem Etat ab, wie Reuters unter Berufung auf Regierungskreise meldete. Die Entsendung der Bundeswehrsanitäter muss noch vom Bundestag beschlossen werden.

In Berlin traf gestern der Friedensnobelpreisträger und Bischof von Dili, Carlos Belo, mit Bundespräsident Johannes Rau zusammen. Für den Nachmittag waren Gespräche mit Außenminister Joschka Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul geplant. Auf einer Pressekonferenz forderte Belo Deutschland zur Hilfe für Osttimor auf. Die dortige Lage verglich er mit der Deutschlands 1945. Wie das zerstörte Deutschland mit Hilfe des Marshallplans wieder aufgebaut wurde, benötige jetzt auch Osttimor Hilfe. Belo betonte, der Osttimor-Konflikt sei kein Bürgerkrieg. „Das ist eine Lüge,“ so Belo. Der Konflikt sei von außen verursacht und geschürt worden. Es sei jetzt Sache der UNO, ein Ad-hoc-Tribunal einzusetzen, wie sie es auch für Bosnien getan habe.