„Die SPD muss sich erneuern“

■  SPD-Fraktionschef Klaus Böger räumt beim Wahlkampf erhebliche organisatorische Probleme seiner Partei ein: Die SPD müsse Kommunikationsformen für das 21. Jahrhundert entwickeln

Gibt es ein Akzeptanzproblem von Walter Momper? Klaus Böger: „Das kann schon sein.“

taz: Herr Böger, müssen Sie sich angesichts der derzeitigen Umfrageergebnisse, die der SPD etwa 20 Prozent vorhersagen, nicht von Rot-Grün verabschieden?

Klaus Böger: Ich bin kein Koalitionswahlkämpfer, sondern ich kämpfe für einen Erfolg der SPD. Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist ein Sturzflug, der nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, wie die taz so schön geschrieben hat, in einen Gleitflug übergegangen ist. Ich setze darauf, dass eine augenblickliche Verstimmung über die SPD durch Aufklärung über unsere politischen Ziele wieder umgebogen werden kann.

Worauf stützt sich Ihre Hoffnung?

Auf sehr intensive Gespräche mit der Bevölkerung. Ich stelle immer wieder ein hohes Maß an Verstimmung über die Rentenpolitik der Bundesregierung fest. Da muss man versuchen aufzuklären. Zweitens gibt es eine Tendenz, nicht zur Wahl zu gehen. Durch verstärkte Mobilisierung wollen wir die potentiellen SPD-Wähler zum Wahlgang ermutigen.

Was hat sich denn in der konkreten Politik der SPD geändert, um die SPD-Wähler zu überzeugen?

Wenn man das Jahr seit Januar Revue passieren lässt und die Berliner Besonderheiten weglässt, die auch eine Rolle spielen, kann man folgendes sagen: Die Hundert-Tage-Bilanz von Rot-Grün war unbefriedigend, das Erscheinungsbild war schlecht. Es gab Irritationen über das 630-Mark-Gesetz, Lafontaine ist zurückgetreten, dann kam die relativ überraschende Erklärung eines konsolidierenden Zukunftsprogramms, auch Sparprogramm genannt, und schließlich das absurde Sommertheater. Mit den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, wo die Talfahrt gestoppt wurde, haben wir die Chance, einen Umschwung herbeizuführen. Daran arbeiten wir.

Aber gibt es eine sachliche Grundlage für eine Trendwende?

Politik muss nicht nur schlüssig formuliert werden, sondern muss auch überzeugen. Ich glaube, dass den Menschen durch die Haushaltsdebatte im Bundestag die Zusammenhänge und die Notwendigkeit der Regierungspolitik klarer geworden sind. Im Übrigen wird immer deutlicher, dass die CDU gegenwärtig nur auf „Wut gegen Rot-Grün“ spekuliert, und überhaupt keine eigenen Konzepte hat.

Hat die Berliner SPD denn überhaupt keinen Anteil an ihrer Talfahrt?

Es gibt sicher auch hausgemachte Probleme. Dazu gehört, dass Leistungen nicht selbstbewusst nach außen getragen werden oder sogar niedergemacht wurden. Geärgert hat mich die öffentliche Streitlust des einen oder anderen.

Gibt es nicht auch ein Akzeptanzproblem des SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper?

Das kann schon sein. Aber Walter Momper wird von den Medien am schärfsten von allen beobachtet und zum Teil auch unfair behandelt.

Hat nicht die Quadriga aus Parteichef Peter Strieder, Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing und Ihnen Walter Momper zu sehr in den Hintergrund treten lassen?

Ich halte es für Unfug, nun zu kritisieren, was eine gute Idee war und ist. Wir haben mit der Quadriga demonstriert, dass die SPD ein starkes Team hat. Dessen ungeachtet ist sonnenklar, dass es in der Quadriga immer eine herausgehobene Position für den Spitzenkandidaten gegeben hat und gibt.

An der Parteibasis gibt es starken Unmut über die zahlreichen Organisationsfehler im Wahlkampf. Wer trägt die Verantwortung?

Wahlkampf und Wahlkampfführung werden in einer lebendigen Partei immer lebhaft diskutiert. Es gibt immer Diskussionen über Plakate. Das halte ich am Ende nicht für ausschlaggebend. Richtig ist, dass wir erhebliche organisatorische Probleme haben. Das muss man ändern. Wir müssen es schaffen, Organisations- und Kommunikationsformen zu entwickeln, die in das 21. Jahrhundert weisen und nicht Strukturen aus dem 19. Jahrhundert kultivieren, die nicht mehr tragfähig sind.

Was meinen Sie damit konkret?

Es muss uns noch stärker gelingen, die zentralen gesamtstädtischen Fragen, wie die Verkehrspolitik, nicht ausschließlich in Fachausschüssen zu thematisieren, sondern in größeren Foren und Kongressen voranzubringen, die in der Stadt auch wirklich zum Gespräch werden.

Wir brauchen viel mehr Sachverstand von Menschen, die gar nicht in der SPD sind oder zwar Mitglieder sind, sich aber nicht in den Kreisverbänden artikulieren wollen, sondern auf einer anderen Bühne. Wir haben ein enormes Potential an Menschen, die der Idee einer sozialen Demokratie zugeneigt sind, die aber sagen: „Ich komme dort nicht vor und kann mich nicht einbringen.“ Die SPD kann nicht sagen, wir fangen wieder in den Ortsvereinen an. Die Leute wollen auch anders Politik machen.

Warum ist das nicht schon längst angegangen worden?

Wer sich mit Organisationen auskennt, weiß, es gibt nichts Konservativeres als Organisationsstrukturen. Die aufzubrechen ist sehr schwierig. Da kommt man sofort in plakative Diskussionen. Dann heißt es, das ist eine Amerikanisierung von Parteien. Die SPD ist eine Mitgliederpartei, das muss auch so bleiben. Dennoch müssen andere, interessantere, kommunikativere Mechanismen der Willensbildung entwickelt werden.

Ist in der SPD-Führung über eine Neuorganisation der Partei bereits gesprochen worden?

Da gibt es schon Entwürfe. Dafür brauchen wir aber Persönlichkeiten, die das tragen, sowie den Willen zur Veränderung. Nach den Wahlen müssen wir das aufgreifen.

Der SPD ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, ihre Leistungen bei der Regierungsarbeit herauszustellen. Hat die SPD in der Großen Koalition überhaupt eine Chance, sich zu profilieren?

Ich warne vor der Legende, dass die Mitarbeit in der Großen Koalition Ursache für ein schlechtes Wahlergebnis sein könnte. Wer politisch gestalten will, muss zu seiner Regierungsverantwortung stehen.

Sie haben gesagt, einen gedemütigte SPD kann nicht noch einmal in eine Große Koalition eintreten. Bei wie viel Prozent würden Sie die Grenze ziehen?

Meine eigentliche Botschaft war: Wer will, dass die SPD eine tragende Rolle spielt, der muss sie auch wählen.

Aber es kann Sie doch nicht befriedigen, dauerhaft an die CDU gefesselt zu sein?

Wenn die SPD im Jahre 1999 vor die Wähler tritt und sagt, es war eigentlich blöde, dass wir mitregiert haben, dann hat man keine Chance. Ich stehe sehr bewusst zu dem, was wir im Verbund mit der CDU seit 1990 für die Stadt geleistet haben. Da gibt es gewiss Fehler, aber auch herausragende Leistungen. Ich frage mich in der Tat, ob das damals mit den Grünen gelungen wäre, und mit der PDS wäre es erst recht nicht gelungen. Ich glaube, dass es auch jetzt mit der PDS nicht gelingen würde. Mit den Grünen ist das eine andere Frage.

Muss die SPD nicht dennoch eine Debatte über eine Zusammenarbeit mit der PDS führen, um einen Politikwechsel hinzubekommen?

Ich halte davon für Berlin überhaupt nichts. Meine grundsätzliche Haltung zur PDS ist eindeutig. Wenn sich die PDS zu einer sozialdemokratischen Partei entwickeln will, ist sie überflüssig, da es eine sozialdemokratische Partei bereits gibt. Wenn sie eine Nostalgiepartei ist, die Ressentiments aufgreift, dann ist sie für uns auch kein Partner, da man mit Ressentiments ein Land nicht gestalten kann.

Könnte die SPD nicht durch eine weniger schroffe Haltung gegenüber der PDS und damit auch deren Wähler diese für sich gewinnen?

Wie man die Wählerinnen und Wähler der PDS gewinnt, ist eine sehr komplizierte Frage. Die beste Lösung ist, die SPD in Ostdeutschland dauerhaft durch Personen zu stärken, damit neues Vertrauen gewonnen wird.

Hat denn die Berliner SPD nicht genau auf diesem Gebiet Defizite?So viele Ost-SPDler, die an vorderster Reihe stehen, gibt es ja nicht.

Wir stehen uns manchmal auch selbst im Wege. Wir haben gerade aus Berlin Persönlichkeiten, die eine hohe staatliche Verantwortung tragen, wie zum Beispiel den Präsidenten des Deutschen Bundestages und eine Bundesministerin. Es muss uns gelingen, mit diesem Pfund stärker für uns zu wuchern.

Was hat die SPD versäumt, dass die CDU und Eberhard Diepgen so gut dastehen?

Diepgen ist es gelungen, die Erfolge der Großen Koalition voll für sich zu verbuchen. Wenn er behauptet, dass seine Hauptleistung die Bezirks- und Verwaltungsreform war, dann ist das falsch. Denn das haben hauptsächlich wir geleistet. Gegenwärtig mögen die Menschen vielleicht, dass einer undeutlich und im Ungefähren bleibt und Probleme nicht akzentuiert darstellt. Im Übrigen bilden sich Images immer auch in Vergleichsangeboten.

Zudem profitiert Diepgen von einem Unsicherheitsgefühl in der Stadt. Viele glauben, mit dem Eberhard wird es schon so schlimm nicht kommen. Wie gefährlich das ist, zeigt zum Beispiel die vorerst gestoppte Privatisierung des Flughafen Schönefeld. Viele Dinge hat Diepgen zu lange liegen gelassen. Interview: Dorothee Winden
und Markus Franz