piwik no script img

Statt einer Mauer im Kopf ein Brett davor

■ Der Senat erklärt kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit die Mauer in den Köpfen von Ossis und Wessis für verschwunden. Der Zaubertrick gelang mit Hilfe einer „repräsentativen“ Umfrage

Berlin ist doch anders als der Rest der Republik! Während eine vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut und der Leipziger Universität im Sommer in Auftrag gegebene Studie zu dem Schluss kommt, dass sich Ostdeutsche mehr denn je als Menschen zweiter Klasse fühlen, ist in der Hauptstadt alles paletti.

Wenige Tage vor den Abgeordnetenhauswahlen tönte gestern eine Botschaft aus dem Roten Rathaus, die den nahe gelegenen Fernsehturm zum Einsturz bringen könnte: „DIE MAUER IN DEN KÖPFEN DER BERLINER SCHWINDET – WIR SIND EIN BERLIN.“

Schuld an diesem hanebüchenen Unsinn, der in Großbuchstaben präsentiert wurde, als würde dadurch der Wahrheitsgehalt steigen, ist der Senat. Der wollte wissen, „wie weit die Entwicklung der Einheit im Jahre 10 nach dem Fall der Mauer vorangeschritten ist“. Also hat er bei der Usuma GmbH eine „repräsentative Umfrage“ in Auftrag gegeben. Das Friedrichshainer Markt-, Meinungs- und Sozialforschungsinstitut befragte 1.043 Ost- und Westberliner.

Nur leider waren die Fragen solcher Natur, dass zwangsweise das Fazit herauskommen musste, das Senatssprecher Michael-Andreas Butz gestern mit unverhohlener Freude vorstellte: „Die Mauer in den Köpfen fällt.“ Eine Grundlage für diese Behauptung indes fehlt.

Die „Erkenntnisse“ der Umfrage kann man sich wenige Tage vor dem Tag der Deutschen Einheit getrost in die Haare schmieren: Ossis und Wessis leben gleich gern in Berlin – aha! Ossis und Wessis geben gleichermaßen die Museumsinsel als den Ort an, der am stärksten „zum positiven Gesamtbild Berlins beiträgt“ – booaah! Ossis und Wessis sind sich darin einig, dass Alba Berlin der Verein ist, der „am stärksten zum positiven Gesamtbild Berlins beiträgt“ – Wahnsinn! Bekanntermaßen ist Sport ja völkerverbindend.

Trotz dieser Nullerkenntnisse schlussfolgert der Senat: „In Berlin lässt sich im Jahre 10 der Einheit feststellen, dass eine 'Mauer im Kopf‘, von der viele vermuten, dass sie noch existiert, immer stärker schwindet.“ Fernsehturm, ick hör dir wackeln.

Dabei müsste sich bis ins Rote Rathaus herumgesprochen haben, dass auch in der Hauptstadt die einzig wirkliche Einigkeit zwischen Ossis und Wessis die ist, dass die Mauer in den Köpfen spürbarer denn je ist. Dass Usuma „eng mit der Forschungsgruppe Wahlen zusammenarbeitet“, wie Butz betonte, macht das Ganze nicht besser. Denn die Forschungsgruppe Wahlen wiederum liefert regelmäßig Umfragen für das ZDF-Politbarometer.

Wie viel die Befragung gekostet hat, verrät der Senat nicht. Die Herren und Damen im Rathaus, die anscheinend statt einer Mauer im Kopf ein Brett davor haben, werden ihre Gründe haben. Spätestens bei den Wahlen am 10. Oktober werden sie sich den Kopf an der angeblich schwindenden Mauer stoßen. Aber gewaltig. B. Bollwahn de Paez Casanova

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen