„Alles kommt wieder“

■  Mit 52 Jahren ist der Mann, der vom Himmel fiel, endlich bodenständig geworden. David Bowie über Geschäftserfolge und Altersdepressionen, seine fehlende Eignung zum Rock-'n'-Roll-Tier und seinen unsterblichen Filmruhm dank, öh, dem Kinderfilm „Labyrinth“

taz: Es heißt, Sie besitzen ein Ticket für den ersten kommerziellen Mondflug.

David Bowie: Das ist leider nur ein Gerücht. Aber ich habe vor kurzem ein altes Buch mit einem Formular entdeckt, mit dem man sich für einen Shuttleflug zum Mond anmelden konnte. Ich frage mich, ob all diese Formulare seit 1954 archiviert wurden, denn ich bin sicher, dass sich damals viele Kinder daran beteiligt haben. Ein wunderbarer Gedanke. (grinst)

Früher schienen Sie Ihrer Zeit immer Lichtjahre voraus zu sein, doch Ihre neue Platte klingt nun wie ein traditionelles Rockalbum – ist das nicht ein Rückschritt?

(lacht) Sagen wir eher eine Rückkehr zum klassischen Songwriting. Meine letzten Platten waren sehr konzeptionell angelegt, worauf ich diesmal komplett verzichtet habe. Ich hatte lediglich den Vorsatz, mich den Einflüssen anderer Künstler zu entziehen. Also habe ich in den letzten acht Monaten ausschließlich meine eigenen Songs gehört, was ich einerseits irritierend, andererseits aber auch sehr interessant fand.

Bedeutet das den endgültigen Abschied von der Electronica?

Natürlich nicht. Alle musikalischen Stile, mit denen ich je gearbeitet habe, dienten nur dazu, meine künstlerische Bandbreite zu vergrößern – das gilt insbesondere für den Soul der „Young Americans“-Periode, meine experimentellen Alben mit Brian Eno oder den simplen Hardrock von Tin Machine. Nur weil ich mich jetzt an neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Arbeitsweisen versuche, heißt das nicht, dass ich mit irgendeinem Stil abgeschlossen hätte. Alles kommt irgendwann wieder, auf dass ich es neu entdecke. Und je älter ich werde, desto größer wird auch das Repertoire, aus dem ich schöpfen kann. Es ist wie ein Werkzeugkasten, in dem sich mit der Zeit immer mehr ansammelt.

Dass die Aufnahmen auf den Bermudas entstanden, hört man allerdings nicht ...

Ich denke, das hängt mit dem Meer zusammen, das ich im Allgemeinen als sehr bedrohlich empfinde. Es ist so etwas wie mein ständiger Wegbegleiter, gerade in den Siebzigern, als ich während der Touren lieber ein Schiff bestiegen habe als ein Flugzeug. Außerdem ist es ein sehr starkes Symbol für Bewusstes und Unbewusstes, denn sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Mythologie repräsentiert es die Tiefe des eigenen Ichs.

Sind Sie unglücklich?

Ich bin glücklich.

Warum klingt „Hours ...“ dann so depressiv?

Eigentlich handelt das Album eher von meiner Generation als von mir. Ich habe viele Freunde, die momentan durch eine depressive Phase gehen – eben dieses selbstkritische Grübeln über ausgelassene Chancen und fatale Fehler. Diese Gefühle wollte ich zumindest in einigen Songs einfangen, was mir, glaube ich, ganz gut gelungen ist. Außerdem glaube ich, dass ich mittlerweile das nötige Alter erreicht habe, um ein solches Album zu schreiben.

Dafür wirken Sie als Figur in dem Computerspiel „Omikron: The Nomad Soul“, das sich um ihre Musik dreht, aber ziemlich jung ...

(lacht) Darauf habe ich auch bestanden. Ich habe ihnen gesagt: „Wenn ich schon darin mitwirke, dann möchte ich mindestens 27 Jahre jünger aussehen.“ Und da haben sie mir voll und ganz zugestimmt.

Neue Platte, Computerspiel ... Wie kommt es, dass Sie derzeit so produktiv sind? Erste Anzeichen von Torschlusspanik?

Es gab kaum Zeiten, in denen ich nicht aktiv war. Zufälligerweise stehen meine momentanen Projekte aber wieder mehr im Medieninteresse, als das früher der Fall war. Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, jemals nicht gearbeitet zu haben. Ich liebe, was ich tue.

Aber der Spaß an der Musik schien in den letzten Jahren ja verloren gegangen zu sein ...

Schon, aber damals habe ich mich meinen Bildern und Skulpturen gewidmet und angefangen, ernsthaft fürs Theater zu schreiben. Dabei entstanden Stücke, die zwar nie aufgeführt wurden, mich vom künstlerischen Standpunkt her aber sehr interessierten. Ich habe in einer Art Einsiedlermanier gearbeitet, war damals sehr unsicher, in welche Richtung ich künstlerisch gehen sollte. Erst meine Arbeit mit der Rockband Tin Machine hat mich wieder auf den richtigen Weg gebracht. So ist das Leben – man muss sich ständig fragen, ob man etwas tut, weil man es will, oder weil es das ist, was von einem erwartet wird. An dem Tag, an dem man sich zum Sklaven fremder Erwartungen macht, ist der Weg nach unten vorprogrammiert.

So ging es Ihnen nach „Let's Dance“, Ihrem größten kommerziellen Erfolg?

Ganz genau. Ich bin „Let's Dance“ damals mit sehr viel Enthusiasmus und Elan angegangen – und habe mich buchstäblich in ein Loch gearbeitet. Wenn ich auf vier Jahre meines Lebens verzichten dürfte, dann auf diese Ära zwischen '84 und '87. Zum Glück traf ich irgendwann Reeves Gabrels [sein Gitarrist; die Red.], und von da an ging es bergauf.

Ist kommerzieller Erfolg ein kreativer Killer?

Irgendwie schon. Jedenfalls scheint er mir nicht sonderlich gut zu tun.

Der Rock-'n'-Roll-Rummel als Albtraum ...

Ich denke, dass das Drumherum zum Albtraum werden kann. Die Nische, in die ich mich zurückgezogen habe, hat nichts mit Hollywood, irgendwelchen Grammy-Verleihungen oder der Rock 'n' Roll Hall Of Fame zu tun. Die Mehrheit meiner Freunde kommt aus ganz anderen künstlerischen Bereichen – es sind Schriftsteller oder Maler. Wir alle leben in Downtown New York, unterhalb der 14. Straße, wie es sich laut Tradition gehört. Und bis dahin ist das Business noch nicht vorgedrungen. (lacht) Ehrlich: Ich war nie Teil dieses Rockzirkus, irgendwie empfand ich ihn immer als sehr einengend und viel zu sexistisch. Es ist eine sehr künstliche, engstirnige Szene, und ich habe mich immer als jemand gesehen, der für alle Richtungen offen ist. Ich sehne mich nach etwas Menschlichem.

Und dafür ist in der Rockszene kein Platz?

Nein, sie ist einfach zu unflexibel. Ich bevorzuge eine Umgebung, die es mir ermöglicht, auch mal über den eigenen Tellerrand zu blicken. Den Part des Rock-'n'-Roll-Animal sollen andere übernehmen. Ich habe einfach nicht die nötige Integrität, mich hinzustellen und zu sagen: „Ich war ein Rocker, bin ein Rocker und werde auch immer einer sein.“

Als Schauspieler haben Sie sich dafür ja öfters versucht. Sie haben ungefähr 35 Filme gedreht und ...

O Gott, schon so viele?

Sind Sie sicher, dass Sie immer die beste Wahl getroffen haben?

Gute Frage. Ich habe keine Ahnung, warum manche Streifen so erfolgreich sind und andere nicht. Nehmen Sie zum Beispiel „Labyrinth“. Das ist einer der populärsten Kinderfilme aller Zeiten. Und es kommt immer wieder vor, dass mich irgendwelche Kinder anstarren und zu ihrer Mutter sagen: „Schau mal, da ist der Typ aus dem Film.“ Und ich denke mir nur: Mein Gott, ist der immer noch im Umlauf? Aber glauben Sie, irgendwer erinnert sich an meine Rolle in „The Last Temptation Of Christ“? Das war mein bester Part – eine Rolle mit unglaublicher Tiefe. Allein die Möglichkeit, mit einem Mann wie Scorsese zu arbeiten, ist schon fantastisch.

In den USA ist gerade der Film „Stigmata“ angelaufen, an dessen Soundtrack Sie auch beteiligt sind. Wieder ein Film, der auf das frühe Christentum Bezug nimmt ...

Seit Mitte der Siebziger interessiere ich mich für die Anfänge des Christentums. Zu der Zeit erschien ein Buch namens „The Jesus Scroll“. Den Autoren hab' ich vergessen, aber ich glaube, es war ein Ire [Donovan Joyce; d. Red.]. Jedenfalls hat dieser Typ die These aufgestellt, dass Jesus vom Kreuz genommen wurde und sich die nächsten dreißig Jahre als Revolutionär in Messada betätigt hat. Man muss wissen, dass ich auf Verschwörungstheorien stehe, und da der Verfasser so stichhaltige Beweise liefert, war ich total begeistert. Das Buch kann man übrigens nur in Europa kaufen, in Amerika ist es verboten.

„Stigmata“ befasst sich ebenfalls mit dieser Materie, deshalb habe ich mich daran beteiligt. Obwohl ich gestehen muss, dass er nicht ganz so in die Tiefe geht, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber das ist wohl typisch für die Neunziger: Man nehme eine gute Idee, bereite sie halbwegs auf, füge ein paar Spezialeffekte hinzu, und fertig ist der Streifen. Grausam.

Haben Sie deswegen das Interesse am Schauspielern verloren?

Vielleicht. Aber mir sind Filme prinzipiell zu langweilig. Das einzig Nette ist die Gesellschaft der Regisseure, denen man bei der Arbeit zusehen kann. Keine Ahnung warum, aber irgendwie bin ich in der glücklichen Situation, ständig irgendwelche Filme von bekannten Leuten angeboten zu bekommen. Dabei habe ich einige großartige Persönlichkeiten kennengelernt.

Haben Sie je daran gedacht, ihren eigenen Film zu drehen?

Oh, davon träumt wohl jeder Rockstar. Aber ich überlasse das lieber meinem Sohn. Der hat die Filmschule besucht und weiß genau, was zu tun ist – Licht, Kamera und so fort. Ich würde mich nur hinstellen und losbrüllen: „Alle Mann fertig – und Action!“ (lacht)

Dafür haben Sie sich in den letzten Jahren zu einem Allround-Geschäftsmann entwickelt und sogar Bowie-Aktien an die Börse gebracht ...

Ist das nicht fantastisch? Eigentlich wollte ich nur die Rechte an meinen alten Songs zurückgewinnen. Ganz einfach, weil ich es nicht mit ansehen konnte, dass sich gewisse Leute eine goldene Nase mit meinem Lebenswerk verdienen. Also habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Copyrights zurückzubekommen und allein zu entscheiden, was genau mit meinen Songs passiert.

Ist Ihr geschäftlicher Erfolg der Grund, dass Sie neuerdings für Stuttgarter Nobellimousinen Werbung machen?

(lacht) Was soll ich sagen? Sie haben mir so viel Geld geboten, dass ich unmöglich absagen konnte. Zumal ja auch Martin Scorsese beteiligt war. Aber wenn es um Werbung geht, fällt auf, dass wir nicht mehr in den Sechzigern, sondern in den Neunzigern sind. Früher standen wir allem skeptisch gegenüber, was nach Kommerz roch, während sich die heutigen Bands geradezu darum reißen. Es ist ein völlig anderes Selbstverständnis, in fast allen Bereichen der Kunst. Die heutige Generation hat eben weniger Berührungsängste.

Gab es denn wenigstens einen Gratis-Benz?

Nein, wie man sieht, bin ich doch kein so guter Geschäftsmann. Denn wenn ich es wäre, hätte ich sicher auch noch ein Auto rausschlagen können.

Interview: Marcel Anders