3. Oktober, Feiertag

■  Der Tag der Einheit berührt im Westen der Stadt nur wenige Menschen. Im Osten hingegen finden reichlich DDR-nostalgische Partys statt. Nur die Linken erkennen im Nationalfeiertag einen Anlass zu wütenden Protesten

Die Feiern sind eine sehr zivile Angelegenheit mit Volksfestcharakter, die der Lust, sich den Festen hinzugeben, wie sie gerade fallen, Zucker geben

Die Deutschen mögen Feiertage sehr. Jeder ist ihnen recht, Hauptsache, es ist arbeitsfrei oder man kann sich über die satten Tarifzuschläge freuen, wie beispielsweise das Krankenhauspersonal. Leider wurde in den überwiegend protestantisch gefärbten Bundesländern der Buß- und Bettag abgeschafft. Das war auch deshalb besonders schade, weil dieser arbeitsfreie Tag so verlässlich war. Immer an einem Mittwoch im November durfte ausgespannt werden. Der 3. Oktober ist ein im Grunde ein begehrter Festtag. Dumm nur, dass er jedes Jahr auf einen anderen Tag in der Woche fällt, wie auch der 1. Mai. Und dieses Jahr fällt unser Nationalfeiertag auf einen Sonntag – und dafür gibt es keinen freien Tag.

Diese Exkursion über die Popularität der extrafreien Arbeitstage war unerlässlich. Sonst wird nicht verständlich, warum in Berlin an diesem Wochenende vermutlich kein besonders großes Spektakel um den Tag der Deutschen Einheit stattfinden wird. Wochenende ist Wochenende, auch in Berlin: Wer soll da merken, dass etwas gefeiert wird?

Immerhin hat die Marketingfirma „Partner für Berlin“ zwei Tage lang „Deutschlands Fest“ rund um den Pariser Platz vorbereitet. Das Programm ist modern, was mit repräsentativ übersetzt werden darf. Von 11 Uhr am Sonnabend findet ein Festumzug durch das Brandenburger Tor statt; am Nachmittag treten auf einer Bühne Stars der Fünfziger-, Sechziger-, Siebzi- ger-, Achtziger- und Neunzigerjahre auf. Woran auch das Motto erkannt werden kann: „50 Jahre Deutschland“. Als ob es dieses Land die ganzen Jahre zuvor nicht gegeben hätte.

Aus dem Osten sind beim Festprogramm u. a. die „Puhdys“ dabei: Die müssen immer eingeladen werden, damit die empfindsame Ostseele nicht gleich jammert: Oh, wie gemein, die grenzen uns aus, unser gelebtes Leben. Den Jüngeren wird der Besuch mit einem Auftritt von DJ Bobo schmackhaft gemacht, der zwar Schweizer ist, aber womöglich als Signal zu verstehen sein könnte, dass am Fest der Deutschen Einheit auch mäßig deutschsprachige Menschen ohne deutschen Pass teilhaben sollen.

Kurzum: Was dem Festwochenende fehlt, ist der hohe Ton, das Pathos mit Lichtkegeln am Brandenburger Tor, also Beethoven, Celan und andere Autoren und Musiker, deren Texte und Sinfonien mehr als genug herangezogen werden, um vor Deutschland zu warnen oder es hochleben zu lassen.

Eine sehr zivile Angelegenheit also mit Volksfestcharakter, Imbissbuden und anderen Einrichtungen, die der Lust der Berliner und ihrer Besucher, sich den Festen in der Hauptstadt hinzugeben, wie sie gerade fallen, Zucker geben. Ob nun Marathon, Love Parade, Christopher-Street-Parade oder jetzt Deutschlands Fest: Man geht aus, um auszugehen, da nervt völkischer Wahn nur, und zwar die allermeisten.

Denn was das Fest nicht abbilden wollte – weil es innerhalb dieses Rahmens auch nicht gelingen kann – ist die zutiefest private, kaum kollektiv politisierbare Freude, die viele Menschen in den fünf neuen Ländern darüber empfinden, dass ihre DDR nicht mehr existiert. Mauer also weg, staatliche Willkür auch, Terror sowieso, wofür der nur noch schemenhaft erkennbare Mauerstreifen am ehesten das Symbol abgeben kann.

Dabei handelt es sich um eine Weltsicht, die im übrigen die Linken der PDS und die Organisatoren der „Amok“-Parade (Sonntag, fünf vor zwölf, am Olivaer Platz, Abmarsch 13 Uhr zum Wittenbergplatz) nicht teilen. „Keine Schweinerei, die sie nicht begangen haben“, heißt es in einem Flugblatt über die seit einem Jahr amtierende rot-grüne Regierung. Die Veranstalter hoffen, wenigstens die eigenen FreundInnen mobilisieren zu können.

Weniger protestantisch, eher biografieselig soll die Party sein, die Sonntag in der Treptower Arena stattfindet. Zwangsumtausch ist vorgeschrieben, zu trinken gibt es auf dieser „Ostalgieparty“ nur solche Getränke, deren Herkunft eindeutig als „Made in GDR“ erkennbar ist, also etwa Vita-Cola.

Was das alles mit einer völkischen Erhebung zu tun hat? Aller Voraussicht nach, man schaut ja Gott sei Dank in niemanden so richtig rein, gar nix. Außerhalb Berlins wird man von diesem Feier-Wochenende nichts mitbekommen, jedenfalls was die deutschlandpolitische Note anbetrifft. Die Idee, den so genannten Tag der deutschen Einheit in den Hauptstädten der anderen 15 Bundes-länder groß zu feiern, ist schon all die Jahre zuvor mangels Publikumsinteresse konterkariert worden.

Dieses Wochenende zeichnet sich nur aus, durch ein, siehe ZDF-Show zur Deutschen Einheit (siehe oben), seltsam verhageltes und verkrampft pompöses Fernsehprogramm. Der Rest ist Alltag.

Und vielleicht bleibt noch dies: Mit Günter Grass hat ein Stück deutsche Kultur Respekt auch außerhalb unserer Grenzen gefunden, für den man sich nicht schämen muss. Die Krönung von Grass' Lebenswerk fand bereits am Donnerstag statt. Wer mag, kann das als feine Ironie der Stockholmer Preisjuroren kurz vor den Feierlichkeiten zehn Jahre nach der Wende verstehen. Jan Feddersen ‚/B‘ Bericht Seite 34